Verwaltungsvorlage (02_Abgleich)
Vorlage: Kulturhistorische städtebauliche Analyse
6. Oktober 2021
6. Oktober 2021
02 ABGLEICH KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 2.0 EINLEITUNG 142 2.0 EINLEITUNG KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 143 2.0 INHALTSANGABE 2.1 EINLEITUNG (RELEVANZ DER KONSTITUIERENDEN- UND TRANSFORMATIONSSCHICHTEN) S.145 2.2 ABGLEICH 2D S.149 2.3 ABGLEICH 3D S.155 2.4 KERNIDENTÄT S.199 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 2.0 EINLEITUNG 144 2.1 EINLEITUNG 2.0 EINLEITUNG Die konstituierenden Zeitschichten bilden das Fundament des Abgleichs. Sie sind auch die Grundlage der Kernidentität der Krefelder Innenstadt und der räumlich - historischen Prinzipien, die aus dem Vergleich der konstituierenden Zeitschichten mit den späteren Transformationen destilliert werden können. KERNFRAGEN ABGLEICH :DVEOLHEYRQGHQ]XYRULGHQWLÀ]LHUWHQUlXPOLFKKLVWRULVFKHQ6WUXNWXUHQHUKDOWHQ KHXWLJH6LWXDWLRQ " GRUNDLAGEN UND ZIELE In Schritt 1 - Analyse wurden konstituierende Zeitschichten und Transformationsschichten in der Stadtstruktur unterschieden. Die Zeitschichten wurden im historischen Kontext verankert und auf den Maßstabsebenen XL, L+M und S beschrieben. In Schritt 2 - Abgleich werden die Ergebnisse aus Schritt 1 verwendet, um zu untersuchen, was von den verschiedenen konstituierenden Zeitschichten übrig geblieben ist und wie sich die Transformationen zu den verschiedenen konstituierenden Elementen verhalten. Der Abgleich ist daher eigentlich das Schlussstück des Analyseteils. Die Bewertung der kulturhistorischräumlichen Strukturen und Objekte aus GHQYHUVFKLHGHQHQ=HLWVFKLFKWHQÀQGHW in Schritt 3 - Bewertung statt. Schritt 3 befasst sich auch mit allgemeineren Fragen zur räumlichen Struktur der Stadt KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Die konstituierenden Schichten bilden das Fundament des Abgleichs. Sie sind auch die Grundlage der Kernidentität der Krefelder Innenstadt und der räumlich - historischen Prinzipien, die aus dem Vergleich der konstituierenden Zeitschichten mit den späteren Transformationen destilliert werden können. KERNFRAGEN ABGLEICH Der Abgleich soll vor allem die Kernfrage beantworten: :DVEOLHEYRQGHQ]XYRULGHQWLÀ]LHUWHQ räumlich - historischen Strukturen erhalten (heutige Situation)? Die verschiedenen konstituierenden Zeitschichten sind durch ihre Bebauung zusammen gewachsen. Daraus ergeben sich die folgenden Teilfragen: TEILFRAGEN Welche räumlich - historischen Strukturen sind in der heutigen Situation noch zu unterscheiden? Wie verhalten sich die räumlichen Merkmale der verschiedenen Zeitschichten zueinander? Was macht die räumlich - historischen Strukturen der Innenstadt aus (Kernidentität)? Welche städtebaulich - architektonischen Grundprinzipien gelten für die konstituierende Bebauung? 145 2.1 EINLEITUNG Ostwall mit Hauptpost Abb. 2.0_1 (links) Postkarte um 1900 Abb. 2.0_2 (rechts) heutiger Zustand METHODIK ABGLEICH 2D & 3D Die vergleichende Überlagerung der konstituierenden Zeitschichten mit der heutigen Situation ergibt einen Überblick, welche Strukturen sich als nachhaltig erwiesen haben. Wo Strukturen sich als unversehrt bzw. robust herausgestellt haben, können sie identitätsstiftend genannt werden. Der Abgleich erfolgt in der Form von den Überlagerungskarten (2D) und einer Beschreibung des räumlichen Aufbaus (3D). Gemeinsam bilden sie die Grundlage für Schritt 3 Bewertung. ABGLEICH 2D ÜBERLAGERUNGSKARTEN Der Abgleich erfolgt zunächst durch den Vergleich zwischen den konstituierenden Zeitschichten und der heutigen Situation. In Abschnitt 2.2 werden vier Überlagerungskarten gezeigt, in denen beide Situationen miteinander verglichen wurden. Auf den Überlagerungskarten ist gut zu erkennen, welche Strukturen bzw. Teile KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE davon auch heute noch bestimmend sind. Die ersten beiden Überlagerungskarten zusammen zeigen die allgemeinen Änderungen für den gesamten Stadtplan einschließlich der Vier Wälle. In Überlagerungskarte 3 werden die Standorte, an denen das Stadtgefüge und das Erscheinungsbild der konstituierenden Zeitschichten aufgrund späterer Transformationen stark verändert wurde, als Dissonanten markiert. In Schritt 3 - Bewertung wird exemplarisch gezeigt, wie diese Dissonanten bewertet werden können. enthält der Abgleich auch eine vergleichende Beschreibung der ursprünglichen räumlichen Grundlagen der konstituierenden Zeitschichten mit den späteren Transformationen. Hier geht es nicht nur um den Stadtgrundriss (Fluchtlinien, Parzellenstruktur), sondern auch um den Vergleich zwischen der ursprünglichen städtebaulichen Situation und der konstituierenden Bebauung mit späteren Transformationen und dem heutigen Zustand. Dies erfolgt in Abschnitt 2.3. Da der Baumbestand der Vier Wälle eine wesentliche städtebauliche Komponente darstellt, wird in Überlagerungskarte 4 die ursprüngliche Anlage entlang der Vier Wälle mit der heutigen Situation verglichen. Wegen ihrer Relevanz für das heutige Stadtbild werden die städtebaulichen Strukturen und die Architektur repräsentativer Objekte aus den konstituierenden Zeitschichten und den Transformationsschichten in $EVFKQLWWQlKHULGHQWLÀ]LHUWXQG beschrieben. ABGLEICH 3D - BESCHREIBUNG Neben dem Vergleich des historischen Stadtgrundrisses mit der heutigen Situation anhand von Karten (2D) KERNIDENTITÄT Aus dem Abgleich ergeben sich Aussagen zur Kernidentität und den räumlich - historischen Grundprinzipien 2.0 EINLEITUNG der Krefelder Innenstadt. Diese .HUQLGHQWLWlWLVW]ZDQJVOlXÀJ mehrschichtig, das heißt, der räumlich - historische Charakter der konstituierenden Zetschichten und die Veränderungen, die sie durchlaufen KDEHQEHHLQÁXVVHQZLHGLH6WDGWVLFK in der Gegenwart manifestiert bzw. wie sie erfahren wird. Die barock-klassizistische Manufakturstadt, die um einen kleinen mittelalterlichen Stadtkern herum angelegt, und mit den Vier Wällen als Promenaden nach französischem Vorbild eingerahmt wurde, ist die räumliche Basis. Gleichzeitig ist sie in nicht geringem Maße durch besondere Einzelbauten aus der Kaiser- und Zwischenkriegszeit geprägt, sowie durch die frühe Nachkriegsmoderne und spätere Transformationen, die den Zusammenhang des Ganzen beeinträchtigt haben. In Abschnitt 2.4 wird die Kernidentität zusammengefasst. KONSTITUIERENDE RÄUMLICHHISTORISCHE PRINZIPIEN Die hohe städtebauliche und architektonische Kohärenz, die das Stadtbild der vorindustriellen und teilweise auch der modern-historischen Stadt ausmachte, lässt sich auf eine Reihe von städtebaulichen und architektonischen Grundprinzipien zurückführen, die in Abschnitt 2.4.2 erörtert werden. Die räumliche Kohärenz in der Innenstadt wird stark unterstützt durch den Zusammenhang zwischen Stadtstruktur (2D), Gebäudevolumen und Straßenwänden (3D). Die Fassadenarchitektur aus den konstituierenden Zeitschichten bildet hierfür die Grundlage. Die Architektur aus der Kaiser- und Zwischenkriegszeit und den frühen 1950er Jahren verträgt sich im Allgemeinen damit. Die Kohärenz der Fassadenarchitektur ist nicht zufällig entstanden, sondern basiert auf Grundprinzipien. Diese werden in Abschnitt 2.4.3 erläutert. 146 2.1.1 2.0 EINLEITUNG EINLEITUNG RELEVANZ DER KONSTITUIERENDEN ZEITSCHICHTEN Eine konstituierende Zeitschicht ist die ursprüngliche Entstehungsbzw. Entwicklungsschichte eines bestimmten Stadtgebietes. Sie ist in einer klar definierten Ära entstanden und stellt ein eindeutiges räumliches System dar, das sich im Laufe der Jahrhunderte als stabile Grundlage in der Stadtentwicklung erwiesen hat. KONSTITUIERENDE ZEITSCHICHTEN Die Krefelder Innenstadt besteht aus einer einzigartigen barocken Planstadt, die um einen unregelmäßigen mittelalterlichen Stadtkern herum angelegt wurde. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die geometrische Anlage in ihrer Gänze zur offenen Stadt und mit einer eleganten, rechteckigen Promenade nach französischem Modell umrahmt. Die Stadt wurde hauptsächlich für einen Industriezweig eingerichtet, namentlich die Seidenindustrie. Das einheitliche und verfeinerte, barock-klassizistische Stadtbild war ebenso makellos und elegant wie die Produkte, die dort angefertigt wurden. Die feine Mischung der Funktionen von Wohnen und Arbeiten auf allen Maßstabsebenen war in der Manufakturstadt nicht in den unaufgeregten aber harmonisch abgestimmten Fassaden ablesbar. KONSTITUIERENDE ZEITSCHICHTEN Das Untersuchungsgebiet weist trotz aller Transformationen ein geschlossenes Stadtbild auf, dessen Kohärenz bis heute auf die Grundlage der konstituierenden Zeitschichten zurückzuführen ist. Aus dem Abgleich wird deutlich, dass die Architektur der konstituierenden Zeitschichten die Grundlage für diese Prinzipien bildet. Die Architektur der Kaiser- und Zwischenkriegszeit sowie der frühen Nachkriegsmoderne baute deutlich darauf auf. mittelalterlicher Stadtkern oranische Stadterweiterung Daraus ergeben sich verschiedene Gradienten von Kohärenz bzw. Bereiche, die mehr oder weniger von der konstituierenden Bebauung geprägt werden sowie Bereiche, in denen die frühe Nachkriegsmoderne das Stadtbild bestimmt. Die das Stadtbild prägende Architektur ist in Krefeld bis auf die nicht mehr erhaltene mittelalterliche Bebauung nicht auf regionale, sondern eindeutig auf europäische Vorbilder zurückzuführen. barocke Planstadt Abb. 2.0_15 konstituierende Zeitschichten KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE klassizistische Stadtanlage 147 2.1.2 EINLEITUNG RELEVANZ DER TRANSFORMATIONSSCHICHTEN Eine Transformationsschicht ist die Summe der Transformationen, die in einer bestimmten Periode stattgefunden haben und die in die konstituierende Zeitschicht eingefügt wurden, ohne dass letztere aufgehoben oder vollständig ersetzt wurde. Auf diese Weise wird die Mehrschichtigkeit der Stadt dargestellt und gleichzeitig eine deutliche Hierarchie der Zeitschichten definiert. TRANSFORMATIONEN UND DISSONANTEN Erst mit der Reichsgründung und dem damit einhergehenden ungezügelten Bauboom begann das geordnete, einheitliche Stadtbild sich aufzulösen. In seiner Gänze blieb die zusammenhängende Stadtstruktur dennoch erkennbar. Die Funktionsmischung blieb kleinteilig, und die Vier Wälle blieben grüne Promenaden, auch wenn sie deutlich großstädtischer wurden. Das vorindustrielle und modernhistorische Stadtbild wurde durch die Bombardierung schwer beschädigt. In der ersten Phase des Wiederaufbaus wurden große Teile der Stadt innerhalb der historischen Fluchtlinien und in kleinteiliger Parzellierung wieder aufgebaut. Das Straßenmuster blieb somit bis auf eine Handvoll verschwundener Straßen erhalten, und eine Maßstabsvergrößerung fand nur in begrenztem Umfang statt. Eine eindeutige Entscheidung über Rekonstruktion oder Neuordnung fand KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE zunächst nicht statt. Es wurden weder historistische Rekonstruktionen alter Marktplätze oder Straßen geplant (wie z.B. in Münster oder Frankfurt), noch konsequent durchgeführte Verkehrsdurchbrüche innerhalb des historischen Straßenmusters (wie z.B. in Nürnberg oder Hildesheim). Die Architektur des Wiederaufbaus blieb neutral und meist eher bescheiden und nüchtern. Erst in der zweiten Phase des Wiederaufbaus, der in der Mitte der 50er Jahre einsetzte, folgte ein klares Bekenntnis zum Idealbild der gegliederten, aufgelockerten und autogerechten Stadt, in der Funktionen ab jetzt bewusst getrennt und an verschiedenen Standorten konzentriert wurden. Eingriffe in die Stadtstruktur wichen bewusst vom historischen Stadtgrundriss ab. Dies resultierte letztendlich nicht in einer radikalen Neuordnung, sondern in einer Reihe von Straßenverbreiterungen und der Anlage ebenerdiger Parkplätze an der Stelle zerstörter Baublocks. Eine irreversibele Änderung der Stadtstruktur zu einem eindeutig modernen Stadtbild wurde damit nicht zustande gebracht, sondern eher eine Beeinträchtigung der Lesbarkeit der historischen Stadt. Das Gleiche gilt für die modernistische Idee der 60er und 70er Jahre, die historisch geschlossene Stadtstruktur in ein offenes Stadtmodell umzuwandeln, in dem große Gebäudekomplexe als skulpturale, hermetische Objekte platziert wurden, die gewissermaßen autonome ,QVHOQLPÁLHHQGHQ5DXPHLQHU Stadtlandschaft bildeten. Die 27 im $EJOHLFKLGHQWLÀ]LHUWHQ'LVVRQDQWHQ gehören zum Teil dieser Kategorie an. Die auffälligsten Vertreter sind das Gebiet um das Polizeipräsidium, das Schwanenmarkt Center und das Seidenweberhaus. 2.0 EINLEITUNG TRANSFORMATIONSSCHICHTEN Architektur -Ikonen Kaiserzeit Architektur-Ikonen Zwischenkriegszeit Wiederaufbau und Architektur-Ikonen der ersten Nachkriegsmoderne Dissonanten 148 2.2 ABGLEICH 2D 2.2 ABGLEICH 2D Der Abgleich erfolgt zunächst durch den Vergleich zwischen den konstituierenden Zeitschichten und der heutigen Situation. Hierzu werden vier Überlagerungskarten gezeigt, in denen beide Situationen miteinander verglichen wurden. ÜBERLAGERUNGSKARTEN Die Überlagerungskarten 1 und 2 verdeutlichen, wo die ursprüngliche Stadtstruktur (Fluchtlinien, Parzellenstruktur) erhalten blieb und wo nicht, und welche Strukturen bzw. Teile davon auch heute noch bestimmend sind. Mit der Markierung von Dissonanten in Überlagerungskarte 3 wird deutlich sichtbar gemacht, was transformiert wurde bzw. was verloren ging. Die meisten Dissonanten sind Resultat von Eingriffen der Nachkriegszeit. In Schritt 3 - Bewertung wird exemplarisch gezeigt, wie sie bewertet werden können. In Überlagerungskarte 4 werden auch die konstituierenden und tatsächlich vorhandenen Bäume an den Vier Wällen miteinander abgeglichen. Für die Erstellung der Überlagerungskarten wurden Katasterkarten als Grundlage verwendet, die sowohl die Fluchtlinien als die Einzelparzellen zeigen. Das Urkataster von Krefeld stammt aus dem Jahr 1826. Dementsprechend ist der Abgleich für den mittelalterlichen Stadtkern insofern unvollständig zu nennen, als vom Mittelalter und der Renaissance bis 1826 zweifellos zahlreiche räumliche Veränderungen stattgefunden haben, die aber nicht kartographisch dokumentiert sind. Veränderungen von Fluchtlinien oder Parzellenstruktur in der vorindustriellen Stadt vollzogen sich im Allgemeinen eher langsam. Bei Krefeld muss davon ausgegangen werden, dass die Veränderungen im mittelalterlichen Stadtkern im genannten Zeitraum vergleichsweise gering waren, und die Karte von 1826 die Situation der Spätrenaissance noch relativ gut widerspiegelt. Gleiches gilt in geringerem Maße auch für die Veränderungen der Stadtstruktur im Zeitraum zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und der Uraufnahme 1826. 2.2.1 ÜBERLAGERUNGSKARTE 1 - MITTELALTERLICHER STADTKERN Neben den Überlagerungskarten sind auf den Karten kurze Erläuterungen als Leseanleitung enthalten. S.150 2.2.2 ÜBERLAGERUNGSKARTE 2 - VIER WÄLLE S.151 2.2.3 ÜBERLAGERUNGSKARTE 3 - DISSONANTEN S.152 2.2.4 ÜBERLAGERUNGSKARTE 4 - KONSTITUIERENDE BÄUME S.153 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Bei der klassizistischen Stadterweiterung von Vagedes verhält es sich andersherum. Die Katasterkarte von 1826 zeigt die Barockstadt im Detail, nicht jedoch den Plan von Vagedes, da dieser zwar 1819 aufgestellt, aber noch lange nicht vollständig realisiert worden war. Für die Überlagerungskarte der Planstadt und Vier Wälle wird daher eine Kombination der Katasterkarten von 1826 und 1939 als Grundlage für die Fluchtlinien und Parzellenstruktur verwendet. 149 2.2.1 2.2 ABGLEICH 2D ÜBERLAGERUNGSKARTE 1 MITTELALTERLICHER STADTKERN Der Abgleich zeigt, dass die Hochstraße in ihren mittelalterlichen Fluchtinien und der historischen Parzellierung fast komplett erhalten geblieben ist, ebenso wie die meisten Quergassen. Der Schwanenmarkt (Alter Markt) ist in seiner Grundform noch erkennbar. In der ersten Überlagerungskarte wird die bestehende Situation des mittelalterlichen Stadtkerns mit den Fluchtlinien und Parzellen der konstituierenden Zeitschichten abgeglichen. Da über die Siedlungsgenese des mittelalterlichen Stadtkerns wenig bekannt ist, werden in dieser Karte die Fluchtlinien aus der ersten maßgenauen Aufnahme 1826 zugrunde gelegt. Diese beinhaltet auch die Neustraße und den Quartelnmarkt, die vermutlich erst in oranischer Zeit angelegt wurden. Die Begradigung der heutigen Markt- und Rheinstraße erfolgte wahrscheinlich gleichzeitig mit den Stadterweiterungen von 1711 und 1738. Sie wird gesondert markiert. Der Abgleich zeigt, dass die Hochstraße in ihren mittelalterlichen Fluchtinien und der historischen Parzellierung größtenteils erhalten geblieben ist, ebenso wie die meisten Quergassen. Der Schwanenmarkt (Alter Markt) ist in seiner Grundform noch erkennbar. Der Platz an der Alten Kirche wurde in der Zwischenkriegszeit freigelegt, als die kleinen Häuser, die nach der Reformation auf dem mittelalterlichen Kirchhof gebaut worden waren, abgerissen wurden. Im Gegensatz zum 6FKZDQHQPDUNWLVWGLHVHU¶3ODW]·DOVR QLFKW¶PLWWHODOWHUOLFK· Die Bebauung der ursprünglichen Gasse zwischen Schwanenmarkt und der Alten Kirche wurde 1957 abgeräumt, um mehr Platz für den ruhenden Verkehr zu schaffen. Die Straßenecke zwischen Evertsstraße XQGGHPKHXWLJHQ¶HYDQJHOLVFKHQ .LUFKSODW]·ZLUNWGDGXUFKQLFKWPHKU raumbildend für den historischen Schwanenmarkt. Der nordwestliche Teil des mittelalterlichen Stadtgrundrisses wird fast komplett vom Schwanenmarkt Center eingenommen. Der Komplex mit Shopping Mall, Tiefgarage, Parkhaus und 200 Wohnungen, wurde 1976 eröffnet. Es war das erste große Flächensanierungsprojekt in der Innenstadt. Die historischen %DXÁXFKWHQHQWODQJGHU3RVWXQGGHU Evertsstrasse gingen durch die neue Form verloren, die Wiedenhofstraße wurde als Route entlang der ehemaligen Stadtmauer aufgehoben. konstituierende Fluchtlinien nach Urkataster 1826 und Katasterplan 1930 Fluchtlinien fehlend Parzellierung konstituierend nach Urkataster 1826 Abb. 2.0_3 Überlagerungskarte 1 - mittelalterlicher Stadtkern Im Gebiet des mittelalterlichen Stadtkerns blieben die historischen Fluchtlinien fast komplett erhalten. Die ursprüngliche agrarische Parzellenstruktur der Ackerbürgerhäuser liegt der heutigen, immer noch kleinteiligen Parzellenstruktur wahrscheinlich zugrunde. Archäologische Untersuchungen können dazu mehr Klarheit verschaffen. Parzellierung konstituierend nach Katasterplan 1930 Parzellierung fehlend aufgehobene Straße fehlende Bebauung KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 150 2.2.2 ÜBERLAGERUNGSKARTE 2 VIER WÄLLE 2.2 ABGLEICH 2D Das Gebiet innerhalb der Vier Wälle weist trotz aller Transformationen ein geschlossenes Stadtbild auf. Die Merkmale der vorindustriellen Stadt sind in Fluchtlinien und Parzellierung erhalten geblieben oder wurden beim Wiederaufbau wiederhergestellt. In der zweiten Überlagerungskarte wird die bestehende Situation mit den Fluchtlinien und der Parzellenstruktur der konstituierenden Zeitschichten oranische Stadterweiterung, barocke Planstadt und die klassizistische Stadtanlage - abgeglichen. Abb. 2.0_4 Überlagerungskarte 2 - Vier Wälle In dieser Karte wird die Kontur des mittelalterlichen Stadtkerns korrigiert anhand der konstituierenden Fluchtlinien um 1870 und mit einer VFKUDIÀHUWHQ)OlFKHPDUNLHUW'HU mittelalterliche Stadtkern wird aufgrund seines räumlich begrenzten Umfangs in Überlagerungskarte 1 gesondert dargestellt. Mit Ausnahme der Fläche zwischen Lohstraße, Ostwall, Sankt-AntonStraße und Carl-Wilhelm-Straße, die heute ein Teil des Theaterplatzes ist und zu Beginn des 20. Jahrhunderts IUGDV7KHDWHUSURMHNW¶$WKHQlXP· freigelegt worden war, sind es vor allem die Eingriffe nach dem 2. Weltkrieg, die ins Auge fallen. Diese werden in Überlagerungskarte 3 benannt. konstituierende Fluchtlinien nach Urkataster 1826 und Katasterplan 1930 Fluchtlinien fehlend Parzellierung konstituierend nach Urkataster 1826 Parzellierung konstituierend nach Katasterplan 1930 Parzellierung fehlend aufgehobene Straße fehlende Bebauung mittelalterlicher Stadtkern s, 2.2.1 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 151 2.2.3 (Kaufhaus Horten (heute Primark) und Hamburg Mannheimer Haus s.Bewertung S) 1980ER JAHRE 3a Von-der-Leyen-Platz ße ße tstra Mark ße sstra Evert 25 kleiner Platz Stephan- Ecke raße Marktst Wallstraße Neut mark 26 ¶0D[3HWHUPDQQ3ODW]· pl. nstra ße e straß ße rsstra König nige ö Dreik Pete Karls straß pl. Park e Auch in folgenden Jahren wurde der historische Stadtgrundriss beeinträchtigt, z.B. durch den Bau des Behnischhauses, der Volksbank und der Mediothek. Diese Tranformationen werden in der Bewertung wegen des geringen Zeitabstands nicht erfasst. Hoch 4 Ackermann Bauten ra Lohst 24 ¶$QQH)UDQN3ODW]· Anne Pl. Frank- städtebaulicher Akzent und Abschluss des Ostwalls aße er Str Linn Lenss e fstraß $XÁRFNHUXQJHQGHU 6WDGWVWUXNWXU e Neue ße enstra enho 22 ¶'U+LUVFKIHOGHU3ODW]· ll 19 Platz an der Alten Synagoge aße e Str 23 ¶:LOO\*|OGHQEDFKV3ODW]· a Ostw straß Rhein Wiedenhofstraße) Breit ¶(YDQJHOLVFKHU.LUFKSODW]· e 10 Schwanenmarkt (steht auf der Wied 11b rstraß und Lohstraße (Ausfahrt Tiefgarage Behnischhaus) aße n-Str -Anto Sankt Göld Willy- s-Pl. h enbac 17 )UHLÁlFKH]ZLVFKHQ.|QLJVWUDH Färbe und Lohstraße nördlich der Gartenstraße ße 5b Parkplatz zwischen Königstraße -S ilhelm Carl-W /RKVWUDH· ,+. 3 )UHLÁlFKH]ZLVFKHQGHU6FKQHLGHU und der Lutherische-Kirch-Straße nördlich der Gartenstraße ra Lohst on en V Gart yen e der L traße yDion l. siusp 2b 1RUGZDOO(FNH¶Q|UGOLFKH raße 2a Nordstraße Ecke Ostwall raße richst Freilegungen für den UXKHQGHQ9HUNHKU 1 Nord- Ecke Sternstraße Fried zwischen Königstraße und Ostwall) e 22 Dreikönigenstraße (zwischen 1970ER JAHRE 6b Seidenweberhaus (steht auf der Lohstraße) er Von d Pl. n Leye Königstraße und Ostwall) terThea platz aß erstr 21 und Breite Straße und zwischen h Step anstr aße aße traße ls Mitte anstr h Step eterMax-P l. n-P man Lindenstraße 2c Polizeipräsidium als Mit dem Bau des Kaiser Wilhelm Museums wurde der Karlsplatz aufgehoben. Aufgrund der vorgenannten Sonderbehandlung der Bebauung aus der Kaiserzeit an den Vier Wällen wird dies nicht als Dissonant markiert. traße der Haltestelle Rheinstraße ße nstra Garte Klost 27 Hamburg Mannheimer Haus irch-S 18 Verbreiterung des Ostwalls an 20 Marktstraße (zwischen Westwall ße kstra Fabri he-K 7 Sankt-Anton-Straße st König .|QLJVWUDH DXVGHU%DXÁXFKW JHVFKREHQH¶3XQNWKlXVHU· an diversen Straßenecken s.Bewertung S) erisc 27 8 Freilegung Apsis Dionysiuskirche wall Nord all 11 Freilegung Nordportal Alte Kirche 16 ¶$XÁRFNHUXQJ·GHU%DXÁXFKWGHU l. Dionysiuskirche WIEDERAUFBAU UND NEUORDNUNG Durchbrüche für den ÁLHHQGHQ9HUNHKU 5a Gartenstraße platz richs Fried Mennoniten-Kirch-Straße Luth 9 Freilegung Nordportal traße dess Vage w West 6 Freilegung Platz für das 7KHDWHUSURMHNW¶$WKHQlXP· KHXWH Theaterplatz) 14 fehlende Bebauung an der Spielp DEUTSCHES KAISERREICH (1871 - 1918) 12 Platz an der Alten Kirche (12) Mennoniten-Kirch-Straße e straß traße Die Summe der Dissonanten innerhalb einer Periode bilden zusammen eine Transformationsschicht und sind unten stehend entsprechend geordnet. Der übergroße Teil der Dissonanten stammt aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Es betrifft hier vor allem Standorte, an denen eine mehr oder weniger radikale Neuordnung stattgefunden hat. 13 Kleiner Platz Angerhausen- Ecke Nord eiders Die Überlagerung der deutlich abweichenden modernen Periode mit der vorindustriellen und modernhistorischen Periode hat zu einer NRPSOH[HQ¶6FKLFKWXQJ·YHUVFKLHGHQHU Stadtstrukturen geführt. Die moderne Periode baut aber nicht mehr iterativ auf ihren Vorgängern auf und bricht die Innenstadt - unabhängig von den städtebaulichen oder architektonischen Qualitäten der modernen Eingriffe - in mehr oder weniger autonome Fragmente auf. In solchen Fällen wird die vorindustrielle Stadt nicht mehr als unversehrt bzw. intakt erfahren. ZWISCHENKRIEGSZEIT (19181932) 2.2 ABGLEICH 2D Schn Die Stellen, an denen das Stadtgefüge und das Erscheinungsbild der konstituierenden Zeitschichten aufgrund späterer Transformationen stark verändert wurde, werden als ¶'LVVRQDQWHQ·JHNHQQ]HLFKQHW0LW der Markierung von 27 Dissonanten wird deutlich sichtbar gemacht, was transformiert wurde und was verloren ging. ÜBERLAGERUNGSKARTE 3 DISSONANTEN all Südw Abb. 2.0_5 Überlagerungskarte 3 - Dissonanten aufgehobene Straße 15 Freilegung der Mennonitenkirche an der Königstraße KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE fehlende Bebauung 152 2.2.4 2.2 ABGLEICH 2D ÜBERLAGERUNGSKARTE 4 KONSTITUIERENDE BÄUME Die städtebauliche Figur der Vier Wälle ist auch heute noch klar im Stadtraum ablesbar. Aus der französisch strengen Anlage mit vier Baumreihen auf dem Ostwall, drei Baumreihen auf dem Südund Westwall und zwei Baumreihen auf dem Nordwall wurde relativ schnell ein Rechteck aus vier Alleen, mit Bäumen entlang gärtnerisch gestalteter Mittelstreifen. Die städtebauliche Figur der Vier Wälle ist auch heute noch klar im Stadtraum ablesbar. Aus der französisch strengen Anlage mit vier Baumreihen auf dem Ostwall, drei Baumreihen auf dem Süd- und Westwall und zwei Baumreihen auf dem Nordwall wurde relativ schnell ein Rechteck aus vier Alleen, mit Bäumen entlang gärtnerisch gestalteter Mittelstreifen. Dabei fällt vor allem der grundsätzliche, stadträumliche Unterschied auf zwischen den mehrfachen Baumreihen mit etwa 1000 relativ kleinen Bäumen und den heute stark ausgedünnten Alleen mit etwa 450 zum Teil sehr großen, alten Bäumen. Viele Bäume sind nicht dem veränderten Geschmack in der Freiraumplanung sondern dem Verkehr gewichen, z.B. auf dem Ost- und Nordwall der Straßenbahn. Auf dem südlichen Teil des Westwalls wurde der Wochenmarkt installiert (siehe dazu auch die Analysekarten). on en V Gart yen e der L Am stärksten beeinträchtigt wurde der Ostwall. Vor dem Hauptbahnhof wichen die Bäume der querenden Hansastraße und einer Unterführung, An der Haltestelle Ostwall/Rheinstraße wichen sie dem ÖPNV. Heute steht hier ein luftiges Glasdach. Zwischen Rheinstraße und Sankt-Anton-Straße fehlen die Bäume ebenfalls und zwischen Moerser- und Nordstraße wurde der Ostwall aufgehoben, um mehr Platz für das Polizeipräsidium zu schaffen. Um den Friedrichsplatz wurde die geometrische Strenge GHU%HSÁDQ]XQJODQGVFKDIWOLFK aufgelockert. 'DV'DWXPGHU3ÁDQ]XQJGHU bestehenden Bäume reicht von 1880 bis heute. Ursprüngliche Bäume scheint es nicht zu geben. Die exakte Position der vorhandenen und fehlenden Bäume wurde zur besseren Lesbarkeit stark vereinfacht dargestellt. Am Rathaus sind noch Spuren des Von der Leyenschen Gartens erkennbar. Abb. 2.0_6 Überlagerungskarte 4 - konstituierende Bäume Baum bestand Baum fehlend KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 153 2.2.4 2.2 ABGLEICH 2D ÜBERLAGERUNGSKARTE 4 KONSTITUIERENDE BÄUME Beim Abgleich der konstituierenden Bäume mit dem heutigen Zustand fällt vor allem der grundsätzliche, stadträumliche Unterschied auf zwischen den mehrfachen Baumreihen mit etwa 1000 relativ kleinen Bäumen und den heute stark ausgedünnten Alleen mit etwa 450 zum Teil sehr großen, alten Bäumen. Die ältensten Bäume sind größtenteils Gewöhnliche Platanen und Holländische Linden. Die folgenden %DXPDUWHQVLQGHEHQIDOOV]XÀQGHQ NORDWALL Holländische Linde Kegel-Robinie Amberbaum Dachförmige Platane Einblättrige Robinie Gemeine Robinie Gewöhnliche Platane Hahnensporn-Weißdorn Abb. 2.0_9 Westwall 1900 Abb. 2.0_7 Ostwall 1900 OSTWALL Holländische Linde Kaiserlinde Winter-Linde Berg-Ahorn Gewöhnliche Platane Kegel- Linde Glenleven Nichtfruchtende Roßkastanie Säulen-Feldahorn Schnurbaum SÜDWALL Amerikanische Roteiche Gewöhnliche Platane Sumpf-Eiche WESTWALL Gewöhnliche Platane Kaiserlinde Riesenblättrige Linde Holländische Linde Winter-Linde Abb. 2.0_8 Ostwall 2020 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_10 Westwall 2020 154 2.3 ABGLEICH 3D 2.3 ABGLEICH 3D Die räumliche Kohärenz in der Innenstadt ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen Stadtgrundriss (2D), und seinem räumlichen Aufbau (3D). Die Relevanz des vorindustriellen, geschlossenen Stadtmodells und seiner repräsentativen Architektur für die Kernidentität Krefelds wird im Folgenden erläutert. Die Fassadenarchitektur aus den konstituierenden Zeitschichten bildet die Grundlage für das Stadtbild. Die Architektur aus der Kaiser- und Zwischenkriegszeit und der ersten Nachkriegsmoderne verträgt sich im Allgemeinen damit, ausgehend von einer Reihe von Grundprinzipien. 2.3.1 MITTELALTER UND RENAISSANCE S.156 2.3.2 ORANISCHE ZEIT S.161 2.3.3 BAROCK (BRANDENBURG - PREUSSEN) S.166 2.3.4 KLASSIZISMUS (VAGEDES UND UMPFENBACH) S.179 2.3.5 KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT (ARCHITEKTUR - IKONEN) S.190 2.3.6 WIEDERAUFBAU, ERSTE NACHKRIEGSMODERNE (ARCHITEKTUR-IKONEN) S.193 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 155 2.3.1 ABGLEICH 3D MITTELALTER UND RENAISSANCE BESCHREIBUNG DES KONSTITUIERENDEN RÄUMLICHEN SYSTEMS XL Die mittelalterliche Keimzelle von Krefeld ist der älteste Teil der Stadt. Die Qualitäten des mittelalterlichen Kerns von Krefeld beruhen auf dem Prinzip der städtischen Unregelmäßigkeit und der Individualität der Einzelbauten. Die Häuser waren sowohl giebel- als auch traufständig, sodass nicht nur auf der Ebene des Grundstücks, sondern auch auf der Ebene der Dachlandschaft eine große Formenvielfalt und Komplexität vorhanden war. Ein unregelmäßiges Straßenmuster, das durch den landschaftlichen Untergrund bestimmt wurde, der sich QLFKWLQOLQHDUHQ6WUDHQÁXFKWHQ sondern eher in geschwungen Fluchtinien ausdrückte, wurde kombiniert mit einem individualisierten Baubestand aus dicht nebeneinander stehenden, aber voneinander zu unterscheidenden Einzelhäusern. Beide Arten von Unregelmäßigkeit verstärkten sich gegenseitig und bildeten zusammen ein eng ineinandergreifendes räumliches System. Die Unregelmäßigkeiten und Krümmungen des Stadtraums ergaben ein geschlossenes Stadtbild mit einer Reihe räumlicher Ereignisse. Trotz dieser Unregelmäßigkeiten war die räumliche Kontinuität und der räumliche Zusammenhang des städtischen Gefüges sehr gross, da die Straßen auf beiden Seiten durch Gebäude oder Mauern begrenzt wurden, die Gebäude eine ähnliche Form hatten und eine entsprechende räumliche Positionierung auf dem Grundstück, normalerweise direkt an der Straße. Diese Kombination von räumlicher Vielfalt und Unregelmäßigkeit mit räumlicher Kontinuität und Zusammenhang ist sehr bemerkenswert, da sie nur in mittelalterlichen Stadtstrukturen vorkommt und von der Gesellschaft allgemein hoch geschätzt wird. Das Straßenmuster in der mittelalterlichen Stadt hatte aufgrund der Entwicklung entlang regionaler Wegestrukturen eine klare Hierarchie. Die Hochstraße war die Hauptwegeverbindung in nord-südlicher Richtung, aber auch die diagonale Everts- bzw Angerhausenstraße sowie die Evangelische-Kirch-Straße in ost-westlicher Richtung führten zu Standorten außerhalb der Stadtmauern. Darüber hinaus gab es innerhalb der Siedlung engere Straßen, wie die Tückingsgasse oder die Poststraße. Stege erschlossen den rückwärtigen Bereich nachverdichteter Parzellen. mittelalterlicher Stadtkern Im mittelalterlichen Stadtkern waren ]ZHLNODULGHQWLÀ]LHUEDUH=HQWUHQ]X unterscheiden: die heutige Alte Kirche mit ummauertem Friedhof einerseits und der Marktplatz am Schwanenmarkt mit Rathaus und Stadtwaage andererseits. oranische Stadterweiterung barocke Planstadt Abb. 2.0_15 konstituierende Zeitschichten KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE klassizistische Stadtanlage 156 2.3.1 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D MITTELALTER UND RENAISSANCE Der mittelalterliche Kern ist trotz der Kriegszerstörungen in Bezug auf die Fluchtlinien und Parzellierung weitgehend intakt geblieben. Wo die Fluchtlinien verändert wurden und größere Gebäudekomplexe realisiert wurden, beeinträchtigen sie die Lesbarkeit der Stadtstruktur, vor allem am Schwanenmarkt und dem Evangelischer-Kirch-Platz. Dies ist auch der Fall, wo Einzelgebäude autonomen Großformen gewichen sind. Trotz dieser Beeinträchtigungen des Stadtgrundrisses und der räumlichen Kohärenz ist die mittelalterliche Stadtstruktur immer noch deutlich im Grundriss, sowie einem Teil der Parzellenstruktur und zum Teil auch in der Individualität und unterschiedlichen Höhen und Breiten der Bebauung zu erkennen. XL ABGLEICH 2D - 3D Der mittelalterliche Stadtgrundriss ist über die Jahrhunderte relativ stabil geblieben und konnte die vielen Veränderungen aus den folgenden Jahrhunderten mühelos aufnehmen. Umgestaltungen haben hier fast ausschließlich auf der Ebene einzelner, relativ kleiner Grundstücke stattgefunden. Fotos aus der Kaiserund Zwischenkriegszeit zeigen, dass die Giebel vieler Häuser größtenteils, unter anderem durch Aufstockung, ersetzt worden waren durch traufständige Dächer. Auf der Karte von 1939 entspricht der Stadtplan des mittelalterlichen Stadtkerns dennoch weitgehend der Urkarte von 1826, und der Stadtgrundriss und die Parzellen von 1826 werden sich nicht wesentlich von denen des 16. oder 17. Jahrhunderts unterschieden haben. Die Hochstraße weicht von diesem Bild der stabilen Stadtstruktur der Vorkriegszeit in geringem Maße ab, in Bezug auf Parzellierung und Traufhöhen, aber nicht in Bezug auf das vorindustrielle Straßenmuster. Hier gab es bereits ab der Kaiserzeit eine Vergrößerung der Parzellierung, hauptsächlich aufgrund der Entstehung von Kaufhäusern in dieser zentralen Einkaufsstraße. Sie wuchsen auch in die Höhe und mit ihnen kamen neue Dachformen. Die Dachlandschaft KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE als solche blieb dabei jedoch als eigenständige räumliche Schicht erhalten. Die Neubauten aus der Kaiser- und Zwischenkriegszeit blieben auch strikt in den ursprünglichen Fluchtlinien. In den Querstraßen und -gassen blieb die Parzellenstruktur in dieser Zeit praktisch unverändert. Die einzige Ausnahme bildeten die Entwicklungen An der Alten Kirche und am Evangelischen Kirchplatz, die sich jedoch mit den räumlichen Prinzipien der mittelalterlichen Stadtstruktur verbanden. Auch nach dem Bombardement von 1945 blieben das Straßenmuster und die Parzellierung im mittelalterlichen Stadtkern zunächst weitgehend intakt. Erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden mehrere Parzellen zusammengelegt und historische Fluchtlinien an manchen Stellen beeinträchtigt. In der Dachlandschaft als räumliche Ebene der Stadt sind durch den Bau von Flachdächern große Lücken entstanden, insbesondere ab den späten 1950er Jahren. Dieser Prozess dauert bis heute an. In einigen Straßen blieb die Nachkriegsbebauung unvollständig. Zwar fügt sie sich in die historischen Fluchtlinien ein, beeinträchtigt aber die Stadtstruktur, weil die Traufhöhe zu niedrig ist und die Dachlandschaft großenteils fehlt. Die Qualität der Architektur ist kümmerlich. Dies gilt insbesondere zwischen der Hochstraße und der Mennoniten-KirchStraße, in der Angerhausenstraße und in der Tückingsgasse. Auffällig ist, dass ehemals geschlossene und allseitig bebaute Häuserblöcke im Wiederaufbau auf mindestens einer Seite nicht mehr vollwertig aufgebaut wurden und dadurch Rückseiten und Hinterhofsituationen entstanden sind, z.B. entlang der Mennoniten-KirchStraße oder der Quartelnstraße. Die räumliche Kontinuität und der Zusammenhang des Stadtbildes wurde durch verschiedene, in der Nachkriegszeit einsetzende Trends beeinträchtigt. Mit dem Schwanenmarkt Center wurde z.B. ein komplettes Quartier abgerissen, was zu einer Maßstabsvergrößerung und der Vergrößerung und Erweiterung des öffentlichen Raumes z.B. an der Evertsstraße führte. Feinere ¶.DSLOODUJHIlH·GHU6WDGWVWUXNWXUZLH zum Beispiel die Gasse, die heute ¶(YDQJHOLVFKHU.LUFK3ODW]·KHLWRGHU die Poststraße verschwanden. Trotz dieser Beeinträchtigungen beruhen die heutigen Qualitäten des mittelalterlichen Kerns von Krefeld immer noch auf dem Prinzip der städtischen Unregelmäßigkeit und der Individualität der Einzelbauten. Dieses Prinzip ist immer noch erkennbar, obwohl Teile der Bebauung der Vorkriegszeit durch das Bombardement ausgelöscht wurden, und die räumliche Kontinuität und der Zusammenhang durch Eingriffe nach dem Krieg beeinträchtigt ist. Dazu gehört die Tendenz zur Maßstabsvergrößerung (z.B. Schwanenmarkt-Center), die Vergrößerung und Erweiterung städtischer Räume (z.B. Evertsstraße), das Verschwinden feinerer städtischer ¶.DSSLODUJHIlH·*DVVHQ.RUULGRUH ]%¶(YDQJHOLVFKHU.LUFK3ODW]· Poststraße) und die Entwicklung der Architektur in Richtung einer völligen Autonomie in Bezug auf ihre Umgebung (zum Beispiel das gläserne Volumen in der Hochstraße 68-80, vormaliges Kaufhaus Aretz). Auch der Trend zu einer Fassadenarchitektur, die sich völlig autonom in Bezug auf die Umgebung verhält, zum Beispiel das gläserne Volumen in der Hochstraße 6880, vormaliges Kaufhaus Aretz beeinträchtigt das räumlich historische Stadtbild. 157 2.3.1 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D MITTELALTER UND RENAISSANCE e straß Rhein Tückingsgasse ße Poststra e ß ra t ns se Hochstra u ha er ng A ße n-Kir nite nno Me traß ch-S t mark anen e L+M Abb. 2.0_11, 12, 13 und 14 Gasse zwischen Schwanenmarkt und Alter .LUFKHKHXWH¶(YDQJHOLVFKHU.LUFK3ODW]· Die Gasse, die das weltliche vom spirituellen Zentrum der mittelalterlichen Stadt trennte, liegt heute offen. Die ursprüngliche Räumlichkeit ist nicht mehr lesbar. Schw er raße Kirch-St lische- Evange ße tra s ts Ev STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU ied W aße) tr uartelns raße (Q Neust e raß fst ho en konstituierende Fluchtlinien nach Urkataster 1826 und Katasterplan 1930 eln art Qu rkt ma Mark ße tstra Fluchtlinien fehlend Parzellierung konstituierend nach Urkataster 1826 Parzellierung konstituierend nach Katasterplan 1930 Parzellierung fehlend aufgehobene Straße Abb. 2.0_16 und 17 Markierung des Fischelner und des Hülser Tores im Straßenpflaster fehlende Bebauung sehr hoher kulturhistorisch architektonischer Wert Abb. 2.0_15 Überlagerungskarte 1 mittelalterlicher Stadtkern mit konstituierender Bausubstanz Im Gebiet des mittelalterlichen Stadtkerns ist keine Bebauung aus der konstituierenden Zeitschicht erhalten. Die Bebauung aus den späteren konstituierenden Zeitschichten ist in dieser Karte markiert. Im Inneren der Alten Kirche und im Garten sind noch einige Baufragmente sowie Grabplatten aus GHP-KGW]XÀQGHQ'LHXUVSUQJOLFKH vermutlich agrarische Parzellenstruktur der Ackerbürgerhäuser blieb fast vollständig erhalten. hoher kulturhistorisch architektonischer Wert positiver kulturhistorisch architektonischer Wert KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 158 2.3.1 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D MITTELALTER UND RENAISSANCE L+M Abb. 2.0_18 ¶(YDQJHOLVFKHU.LUFK3ODW]· Wo einst eine mittelalterliche Gasse vom Schwanenmarkt zum Nordportal der Alten Kirche führte ist heute ein offener Raum. Die jüngere Architektur ist gegenüber der ursprünglichen %DXÁXFKW]XUFNJHOHJW,P0DVWDENROOLGLHUWVLH mit dem historischen Stadtraum. Der öffentliche Raum und die höher gelegene Kriegsbrache werden als Parkplatz genutzt. Abb. 2.0_20 Schwanenmarkt Der älteste Platz der Stadt, an dem sich der mittelalterliche Markt befand, ist kleinteilig und ¶RUJDQLVFK·JHSÁDVWHUW'DVGHQNPDOJHVFKW]WH Kaufhaus am ursprünglichen Standort des Rathauses (heute Thalia) ist eine hervorragend instandgehaltene Architektur-Ikone. Die Vordächer oberhalb der Schaufenster betonen hier die historische Architektur. Abb. 2.0_21 Schwanenmarkt Die Vordächer entlang der nördlichen Platzwand trennen das Erdgeschoss von den darüber liegenden Fassaden. Im gesamten 6RFNHOJHVFKRVVEHÀQGHQVLFKQXU]ZHL Eingänge. Dem Schwanenmarkt Center und der angrenzenden Bebauung fehlt die Kleinteiligkeit und architektonische Verfeinerung zur Bildung HLQHU¶PLWWHODOWHUOLFKHQ·.XOLVVH STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU Abb. 2.0_19 Details der Pflasterung des mittelalterlichen Stadtkerns 9LHOHGHUKHWHURJHQHQ3ÁDVWHUXQJHQSDVVHQ weder in Format, noch in Material und Farbe, noch in ihrer Qualität zu einem mittelalterlichen Stadtkern. Abb. 2.0_22 Platz an der Alten Kirche In der Zwischenkriegszeit wurde der Platz durch Abriss eines Häuserblocks geschaffen. Er hat - bis auf die südwestliche Ecke mit Ruine und Wohnhaus der evangelischen Gemeinde - klare Raumkanten von hoher 4XDOLWlW'LH3ÁDVWHUXQJPLW*UDQLWSODWWHQ]LWLHUWGLH Gründerzeitliche Gestaltung ab 1870. Sie wird mit einem QLHGULJZHUWLJHQ%HWRQSÁDVWHUHUJlQ]W,P6RPPHUZLUG der Platz für Außengastronomie und Veranstaltungen genutzt. Nutzungen für den Winter fehlen. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 159 2.3.1 ABGLEICH 3D MITTELALTER UND RENAISSANCE 2.3 ABGLEICH 3D S GEBÄUDE UND GEBÄUDEENSEMBLES Abb. 2.0_24 (unten) mittelalterliche Bebauung in der Hochstraße um 1900. Die Durchfahrt auf das dahinter liegende Grundstück wurde bei der Nachverdichtung im 16. oder 17. Jahrhundert überbaut. Abb. 2.0_25 mittelalterliche Fassade KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_23 mittelalterliche Parzellierung Hochstraße Die ursprünglichen, gekrümmten Fluchtlinien aus dem Mittelalter blieben in der Hochstraße komplett erhalten. Auch die mittelalterlichen Parzellen blieben bis auf eine Reihe großmaßstäblicher Einzelhandelsimmobilien bewahrt. Die räumliche Wirkung der Kleinteiligkeit und der Dächer ist gut erkennbar. An einigen Stellen wurden die Obergeschosse und Dächer nach dem Krieg nicht wiederhergestellt. Abb. 2.0_26, 27, 28 und 29 verselbständigte Schaufenster Schaufenster entstanden erst in der Kaiserzeit. Ihre gestalterische Qualität bestand in der verfeinerten Gliederung des Sockelgeschosses. Heute trennen breite Vordächer die Erdgeschosse von den darüber liegenden Hausfassaden. Darunter hat sich das Schaufenster verselbständigt zu einer Öffnung über die volle Höhe und Breite des ehemaligen Sockelgeschosses, manchmal auch über mehrere Geschosse. Die Grenze zwischen Straße und Geschäft ist aufgehoben. 160 2.3.2 ABGLEICH 3D ORANISCHE ZEIT Die oranische Stadterweiterung ist in ihrer ursprünglichen Form nur noch an wenigen Stellen anhand der Fluchtlinien und Parzellierung zu erkennen. Die ehemals allseitigen Baublöcke wurden zum Teil durch Zeilenbebauung ersetzt und auf- bzw. durchgebrochen. Die einst verborgene Mennonitenkirche wurde freigelegt. BESCHREIBUNG DES KONSTITUIERENDEN RÄUMLICHEN SYSTEMS XL Der oranische Teil der Krefelder Innenstadt stammt aus dem späten 17. Jahrhundert. Die erste Stadterweiterung östlich des mittelalterlichen Stadtkerns bestand ursprünglich aus fünf länglichen Baublocks, drei östlich und zwei westlich der breiten und geraden Königstraße, der Hauptstraße der Erweiterung. In der neu entwickelten Stadtstruktur wurden Gebäude und Straßen nach einer strengen, rationalen Logik geordnet, bei der der landschaftliche Untergrund keine Rolle mehr spielte. Ausgangspunkt waren gerade Fluchtlinien, relativ breite Straßen und eine dominante Horizontale im Städtebau und in der Architektur. Die Grundstücke rund um die Königstraße waren die größten und die auf der Mennoniten-KirchStraße und in der Lohstraße waren kleiner oder zumindest untiefer. Dies bedeutete, dass es Hauptstraßen und Nebenstraßen (primäre und sekundäre Straßen) gab, wobei die Nebenstraßen jedoch vollständig bebaut waren. Das rationale, gerade Straßenmuster wurde von einer Reihe zweigeschossiger, traufständiger Einzelhäuser in der Fluchtlinie und unter einem durchlaufenden Satteldach begleitet, die von individuellen Bauherren als Stadthäuser, aber auch von Bauunternehmern als Mietshäuser gebaut wurden. Eine horizontale Linienführung von Dachrinnen und Gurtgesimsen war dominant, und nur vereinzelt unterbrochen von einem Rhythmus bescheidener vertikaler Akzente in der Form von Tympana. Die Linearität des Stadtraums wurde also durch die Hauptmerkmale der Gebäude unterstützt, was aber aufgrund der relativ feinkörnigen Parzellierung nicht zu einer Monotonie der Straßenwände führte. Die neue Kirche für die Mennoniten wurde in zweiter Reihe, hinter den Häusern der Königstraße, errichtet. Sie war also von der Hauptstraße aus nicht sichtbar und wurde über eine Gartenpforte an der schmaleren Straße an der Rückseite, heute Mennoniten-Kirch-Straße, erschlossen. mittelalterlicher Stadtkern In Bezug auf Gebäude und Architektur lässt sich die oranische Stadterweiterung nicht eindeutig in eine Hauptströmung zusammenfassen: sie orientierte sich in ihrer Rationalität an der internationalen klassischen Ausrichtung der Zeit, entsprach aber auch der lokalen Bautradition einfacher Fachwerkbauten mit gemauerten Fassaden unter einem Satteldach. Die Satteldächer, das Öffnungsverhältnis und die weiß getünchten Fassaden verbanden die schlichte Architektur mit der regionalen Bautradition. oranische Stadterweiterung barocke Planstadt Abb. 2.0_15 konstituierende Zeitschichten KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE klassizistische Stadtanlage 161 2.3.2 XL 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D ORANISCHE ZEIT Die Kontinuität der Stadtstruktur ist zwar im Hinblick auf das Straßenmuster nachweisbar, jedoch im Hinblick auf die Baublöcke, Fluchtlinien, den Maßstab der Parzellen und die Höhe der Gebäude deutlich geschwächt. Der Übergang zwischen der oranischen Stadterweiterung und dem mittelalterlichen Stadtkern ist aufgrund GHUXQGHÀQLHUWHQ6WUDHQZlQGHLQGHUKHXWLJHQ0HQQRQLWHQ.LUFK6WUDHEUFKLJ geworden. Die Lohstraße ist heute mit ihrer geringen Höhe und kümmerlichen Gestaltung eher eine Rückseite als eine historische Straße. ABGLEICH 2D - 3D Der Stadtplan der oranischen Stadterweiterung blieb bis zum zweiten Weltkrieg sehr stabil und konnte die vielen Veränderungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert mühelos aufnehmen. Der Unterschied zwischen Haupt- und Nebenstraßen (primäre und sekundäre Straßen) blieb bis zum Zweiten Weltkrieg unverändert. Entwicklungen in der oranischen Stadterweiterung nicht vor. Die Umgestaltungen fanden hier fast ausschließlich auf der Ebene der einzelnen Parzelle statt, mit nur sehr begrenzter Maßstabsvergrößerung, insbesondere in der Höhe (in bescheidenem Umfang mit wenigen Stockwerken). Im Vergleich zur Urkarte von 1826 bis zum Bombardement von 1943 war in diesem Bereich auch in sehr beschränktem Mass die Rede von Maßstabsverkleinerung, vor allem bei der Parzellengröße, die ursprünglich sehr breit war. An der Stelle der ehemaligen Baublöcke entstand eine teilweise Zeilenbebauung, wobei die Bebauung vornehmlich entlang der Königstraße errichtet wurde. Die Fluchtlinien der Königstraße wurden an mehreren Stellen zurückgelegt, um das 6WUDHQSURÀOJHPlGHQ,GHHQGHV Wiederaufbaus abwechslungsreicher zu gestalten. Die nördliche Fluchtlinie der Marktstraße wurde verlegt. So ist die Ostwand der heutigen Mennonitenkirchstraße heute zum größten Teil nicht mehr bebaut. Die Traufhöhen sind in der Königstraße mit vier bis fünf Geschossen deutlich höher geworden. An mehreren Stellen Im Gegensatz zur Hochstraße, an der sich Kauf- und Warenhäuser entwickelten, kamen derlei KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der Stadtgrundriss im Straßenverlauf und der Form der Baublöcke ungefähr gleich, es wurden jedoch auch Änderungen vorgenommen, die zu HLQHUPRGLÀ]LHUWHQ6WDGWVWUXNWXU führten. fehlt die Dachlandschaft. Zwischen Königstraße und Lohstraße verlaufen mehrere Parzellen quer durch den Baublock, wobei die letztere Straße sich auf Teilstücken nicht mehr als eigenständiger Stadtraum, sondern als Rückseite manifestiert. Auffällig ist vor allem die Freilegung der Mennonitenkirche sowohl an der Königstraße als auch an der Mennoniten-Kirch-Straße sowie der Durchbruch zwischen Königsund Lohstraße auf der Höhe der nördlichen Petersstraße, mit denen die einst geschlossenen Baublöcke aufgebrochen wurden. Darüber hinaus hat eine Maßstabsvergrößerung stattgefunden, bei der Parzellen an mehreren Standorten zusammengefasst wurden. Die einzelnen Gebäude mit relativ schmaler Breite, wie sie hier vor dem Krieg standen, sind somit zu einer Minderheit geworden. 162 2.3.2 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D ORANISCHE ZEIT e straß Rhein Hirschgas se traße sens rhau Ange tra Lohs ße König straß e nite Abb. 2.0_31 Brandwand eines nicht wiederaufgebauten Hauses im heutigen Garten der Mennonitenkirche nno aße Neue er Str Linn e traß ch-S n-Kir STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU Abb. 2.0_32 Fliesenboden eines nicht wieder aufgebauten Hauses im heutigen Garten der Mennonitenkirche Me L+M Abb. 2.0_30 Tor zum Garten der Mennonitenkirche Zwar durften die Mennoniten in der oranischen Stadterweiterung von 1692 ihre Kirche bauen, ihre Sichtbarkeit im Straßenbild der heutigen Königstraße war jedoch nicht erwünscht. Dementsprechend wurde die Kirche aus der 6WUDHQÁXFKW]XUFNJHOHJW'DV7RUDQGHU Mennoniten-Kirch-Straße ist das älteste bauliche Zeugnis dieser Konstellation. Hinter der Mauer EHÀQGHWVLFKHLQ*DUWHQPLWDOWHQ%lXPHQ+LHU EHÀQGHWVLFKQRFKHLQH%UDQGZDQGXQGHLQ Bodenbelag aus dem 17. Jahrhundert anstelle der konstituierenden Bebauung. elisch Evang e-Kirc e h-Straß konstituierende Fluchtlinien nach Urkataster 1826 und Katasterplan 1930 Abb. 2.0_35 Die kleinteilige Straßenplasterung in der Mennoniten-Kirch-Straße schließt an beim mittelatlerlichen Ursprung der Gasse. Die Form der Pöller entspricht in etwa dem 19. Jahrhundert. Ihre Anordnung sowie die Kombination mit Mülleimer und Schaltkästen ist rein pragmatisch. Ein Gestaltungswille fehlt. Fluchtlinien fehlend Parzellierung konstituierend nach Katasterplan 1930 Parzellierung fehlend aufgehobene Straße Abb. 2.0_36 Der großformatige Plattenbelag in der Lohstraße ZXUGHDEJHVWLPPWDXIGHQJOlVHUQHQ¶%HKQLVFK %DX·SDWDEHUZHQLJHU]XUNOHLQWHLOLJHQ Stadtstruktur der oranischen Stadterweiterung. Marktstraße Parzellierung konstituierend nach Urkataster 1826 fehlende Bebauung Abb. 2.0_34 Ausschnitt Überlagerungskarte 1 oranische Zeit mit konstituierender Bausubstanz Im Gebiet der oranischen Stadterweiterung blieben bauliche Zeugnisse aus der konstituierenden Zeitschicht erhalten. Die ursprüngliche rationale Parzellenstruktur ZXUGHLQGHU.|QLJVWUDH¶DXIJHORFNHUW·,QGHU Lohstraße blieb sie fast vollständig erhalten. sehr hoher kulturhistorisch architektonischer Wert hoher kulturhistorisch architektonischer Wert positiver kulturhistorisch architektonischer Wert KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 163 2.3.2 L+M S STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU GEBÄUDE UND GEBÄUDEENSEMBLES 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D ORANISCHE ZEIT Abb. 2.0_37 konstituierende Blockstruktur Abb. 2.0_38 Lohstraße 106 Abb. 2.0_39 und 40 Lohstraße In der Lohstraße blieb mit dem Haus Lohstraße 106 ein ursprüngliches Zeugnis aus der oranischen Zeit erhalten. Auch die historische Parzellenstruktur ist in der Lohstraße zum Teil noch gut ablesbar. Mit dem Wiederaufbau wurde die Lohstraße nicht mehr rekonstruiert und degradierte zur Rückseite. Der Bau des Behnischhauses entlang des Verlaufs der Stadtmauer um 1700 stellt nicht nur einen Kontrast in Maßstab und Architektur dar, er verschärft auch den Kontrast zwischen Vorder- und Rückseiten. Abb. 2.0_41 (links) Fassade Königstraße 105 Abb. 2.0_42 (links) Fassade Lohstraße 106 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 164 2.3.2 ABGLEICH 3D ORANISCHE ZEIT 2.3 ABGLEICH 3D Abb. 2.0_43 Königstraße Das heutige Bild der Königstraße ist vom Wiederaufbau geprägt. Die rechte Seite besitzt noch die ursprüngliche Parzellierung, die linke Seite ist mit einer langen Zeile aus den 50er Jahren bebaut. Der Kontrast ist durch das um 2000 hinzugefügte Glasdach nicht sichtbar. Abb. 2.0_44 Alte-Linner-Straße An beiden Seiten ist noch die Parzellierung aus dem 17. Jahrhundert zu erkennen. Im Hintergrund ist die Zeilenbebauung aus den 50er Jahren erkennbar. L+M STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU Abb. 2.0_45 Mennoniten-Kirch-Straße Die Grenze zwischen dem mittelalterlichen Stadtkern und der oranischen Stadterweiterung ist heute nicht mehr klar ablesbar. Sie ist keine vollwertige Straße mehr, sondern Rückseite sowohl der Geschäfte an der Hochstraße als auch an der Königstraße. Abb. 2.0_46 öffentlicher Raum 6WUDHQSURÀOHXQGSÁDVWHUXQJHQLP*HELHW der oranischen Stadterweiterung sind sehr unterschiedlich. Der nördliche Teil der Mennoniten-Kirch-Straße verweist in seiner Kleinteiligkeit im weitesten Sinne auf die lange Geschichte des Standortes. Der Baumbestand der Kirche und die jungen Bäume entlang der Straße könnten dem Straßenraum Qualität verleihen, der heute vor allem zum Parken genutzt wird. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 165 2.3.3 BESCHREIBUNG DES KONSTITUIERENDEN RÄUMLICHEN SYSTEMS XL 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Die vier barocken Stadterweiterungen südlich und nördlich des mittelalterlichen Stadtkerns können als ein kohärenter Stadtentwicklungstyp betrachtet werden, da sie auf den selben Grundprinzipien beruhen, mit kleinen Variationen pro Phase. Die rationale Linearität der oranischen Stadterweiterung wurde in den brandenburgisch-preußischen Stadterweiterungen fortgesetzt und nahtlos an die oranische Stadterweiterung angeschlossen, als ob sie immer Teil des Ganzen gewesen wäre. Wie schon bei der oranischen Stadterweiterung bestanden die in kurzer Zeit aufeinander folgenden barocken Stadterweiterungen aus einem orthogonalen Stadtgrundriss, in Längsrichtung mit zweigeschossigen Reihenhäusern unter einem gemeinsamen Satteldach bebaut. Gebäude und Straßen wurden nach einer strengen, rationalen Logik angeordnet, wobei der landschaftliche Untergrund bzw. die landwirtschaftliche Parzellenstruktur der Felder neu geordnet und überschrieben wurden. Das geschlossene Stadtmodell, seit Jahrhunderten der Kern der europäischen Stadtplanung, wurde mit der brandenburgischpreußischen Stadtbaukunst um eine neue stadtplanerische Variante bereichert. Sie beruhte auf Klarheit, Unaufgeregtheit und Regelmäßigkeit, wobei auch sparsame, subtile architektonisch - städtebauliche Mittel zur Variation und Akzentuierung in das 6WDGWELOGHLQJHÁRFKWHQZXUGHQ KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE In diesem als fortschrittlich zu betrachtenden räumlichen System waren die verschiedenen Maßstabsebenen der Gestaltung gut durchdacht und sorgfältig aufeinander abgestimmt. Obwohl die Häuser größtenteils von individuellen Bauherren errichtet wurden, wurde wenig dem Zufall überlassen. Zur Stadtstruktur gehörte ein architektonisches Bild des Einzelhauses, das die städtebauliche Gesamtkomposition eines einheitlichen Ganzen bekräftigte, ob es nun zwei, drei oder mehrere Fensterachsen einnahm. Mit traufständigen Satteldächern und durchlaufenden Sockeln und Gesimsen wurden die Einzelhäuser horizontal zu Baublöcken verbunden. Die internationale barock klassizistische Ausrichtung in Städtebau und Architektur blieb in Krefeld in der Komposition des Stadtgrundrisses und der Inszenierung von Monumentalität bemerkenswert zurückhaltend. Lediglich am Neumarkt und in der Friedrichsstraße mit ihren hervorgehobenen Eckäusern, sowie in der neu gestalteten Querachse der Katholischen Kirchstraße (später Rheinstraße), die auf den Neubau der barocken Dionysiuskirche zuführte, gab es monumentale Akzente, denen später das Stadtschloss hinzugefügt wurde. Die Fassaden waren sparsam und in gewisser Weise sogar abstrakt, aber sorgfältig und mit ausgewogenen Proportionen und handwerklicher Verfeinerung gestaltet, ganz im Einklang mit den UDIÀQLHUWHQUlXPOLFKHQ0LWWHOQGLH auf städtebaulicher Ebene entwickelt und vorgeschrieben worden waren. Dies galt für die Häuser der Verleger und für die einfachen Weber- und Handwerkhäuser gleichermaßen. Giebel, Gauben und eine unaufdringliche Wiederholung leicht hervorstehender Pilaster vor den Gebäudetrennwänden brachten einen optisch verkürzenden Rhythmus in die langen Straßen. Die unaufgeregten Fassaden in dieser Stadtstruktur waren nicht so sehr eine funktionale Übersetzung der technischen Bedingungen oder der zugrunde liegenden Nutzungen, vielmehr wurden sie ganz offensichtlich mit dem Ziel eines einheitlichen Stadtbildes konzipiert als Mittel, den öffentlichen Raum zu gestalten. Werkstätten, Kontore, usw. wurden in den Fassaden nicht architektonisch zum Ausdruck gebracht. Dies war eine radikale Entscheidung im Vergleich zum Mittelalter und selbst dem 16. und 17. Jahrhundert. sich auch in anderen europäischen Ländern entwickelte. Möglicherweise VSLHOWHQKROOlQGLVFKH(LQÁVVH dabei eine Rolle. Es zeichneten sich aber auch die Umrisse eines VSH]LÀVFKEUDQGHQEXUJLVFK preußischen Städtebaus ab. Mit der Zurückhaltung und Sparsamkeit der Fassaden beginnt sich hier eine klassizistische Architektur zu HQWZLFNHOQGLHVSH]LÀVFKGHXWVFKE]Z mitteleuropäisch zu nennen ist. Die vier barocken Stadterweiterungen bildeten ein zusammenhängendes, durch und durch gestaltetes Stadtbild, das im Stadtgrundriss, Gebäudevolumen und in Architektursprache weitgehend staatlich reglementiert war. All dies zielte auf Einheit, Ordnung, Proportion und Rhythmus durch lange, durchgehende Linien von Straßen, Traufen und 'lFKHUQ)DVVDGHQSURÀOHQXQG Fensteröffnungen. Einzelhäuser und Ensembles aus Reihenhäusern waren zwar als Grundbaustein der Stadt ablesbar, blieben aber dem Gesamtbild untergeordnet. Die konsequente und staatlich gesteuerte Geradlinigkeit, Rationalität und Vereinheitlichung des Stadtbildes entsprach in jedem Fall dem barocken, linearen Urbanismus, der 166 2.3.3 ABGLEICH 3D BAROCK Der Stadtgrundriss der barocken Akzisestadt ist größtenteils noch deutlich ablesbar. Die räumliche Kontinuität und Qualität der Barockstadt ist hingegen durch die Zerstörung von 1943, Wiederaufbau und Neuordnung in begrenztem Umfang erkennbar. XL In den Bereichen, in denen der frühe Wiederaufbauplan in Bezug auf die Fluchtlinien, Baublöcke, die Anwendung von Satteldächern mit durchlaufenden Trauf- und Firsthöhen eng mit der historischen Struktur umgesetzt wurde, besteht eine Kontinuität der Stadtstruktur. mittelalterlicher Stadtkern Wo die Prinzipien des zweiten Wiederaufbauplans von 1959 umgesetzt wurden, der nach modernistischen Gesichtspunkten neu geordnet wurde, ist diese Kontinuität weniger offensichtlich und das Stadtgefüge ist in mehrfacher Hinsicht inkohärent geworden. oranische Stadterweiterung barocke Planstadt Abb. 2.0_15 konstituierende Zeitschichten KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE klassizistische Stadtanlage 167 2.3.3 XL 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK ABGLEICH 2D - 3D Der Stadtgrundriß der barocken Akzisestadt blieb bis zum Zweiten Weltkrieg beständig und konnte die vielen Transformationen bis dahin mit Flexibilität aufnehmen. Vor allem in den schmaleren Straßen ist die städtebauliche Kontinuität bemerkenswert. Abgesehen von der Begradigung einiger Baublöcke durch den Vagedesplan, dem vergrößerten öffentlichen Raum nördlich der Dyonisiuskirche und dem Abriss einiger Baublöcke, um ein Theater bauen zu können, gab es keine großen Eingriffe in den barocken Stadtgrundriß. und das einheitliche Architekturbild langsam aufgelöst wurden. Die räumliche Kontinuität und Qualität der Barockstadt geriet im 19. und frühen 20. Jahrhundert durch die Liberalisierung der Stadtplanung unter Druck. Die größeren städtebaulichen Veränderungen fanden hauptsächlich in den besten Lagen entlang der Hauptachsen statt: der Rheinstraße, der Friedichstraße und der Hochstraße südlich vom Neumarkt. Von der Gründerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg fand genau hier die Bildung eines kommerziellen Stadtzentrums mit Einzelhandel statt. Es entstanden neue Gebäudetypen wie die Markthalle, das Kaiserpanorama und das Apollokino an der Friedrichsstraße und den Kaufhäusern Hirsch, Stern und Kaufmann, Lion, Dhein, Aretz, Sinn und Seidel. Dies führte zu einer deutlichen Maßstabsvergrößerung, aber auf der anderen Seite auch zu einer Differenzierung der breiten Parzellen vor allem in der südlichen Hochstraße. Hier wurden die ursprünglich breiten und stattlichen Hausstellen nach und nach aufgeteilt und in Geschäfte umgewandelt. Im Vergleich zur Urkarte von 1826 ist deutlich zu erkennen, dass die Stadtstruktur, die ursprünglich hauptsächlich aus Zeilenbebauung in Nord-Südrichtung mit Nebengebäuden und Gartenmauern entlang der Querstraßen bestand, ein Jahrhundert später auch in den Querstraßen fast vollständig bebaut war. Die Struktur der Zeilenbebauung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast vollständig in eine geschlossene Blockrandbebauung umgewandelt worden, wobei auch die unregelmäßigere Breite der Parzellen und Traufhöhen der Bebauung in den später fertiggestellten Querstraßen auffällt. Die Veränderungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert bezogen sich hauptsächlich auf die Fassadenarchitektur, in der die identischen Trauf- und Firsthöhen, die durchlaufenden horizontalen Gesimse KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Nach 1871 vollzog sich entlang der kommerziellen Hauptachsen HLQH¶9HUJHVFKlIWXQJ· ¶9HUDSSDUWHPHQWLHUXQJ·XQG Verdichtung der Stadt, hauptsächlich durch Vergrößerung der Bauvolumen, sodass die einst regelmäßigen Trauf- und Firsthöhen durch eine ungleichmäßige Silhouette ersetzt wurden. Das so unaufgeregte Gesamtbild verlor dort aufgrund des individuellen Hangs zur Dekoration und Selbstrepräsentation langsam seinen Zusammenhang. Die engeren Seitenstraßen waren von diesen Vergrößerungen oder Verkleinerungen der Parzellen weniger betroffen, obwohl auch sie davon nicht verschont blieben. Vor allem in den schmaleren Nord-Süd-Straßen ist die städtebauliche Kontinuität auf allen Maßstabsebenen bis heute bemerkenswert. Die Fluchtlinien hingegen wurden allesamt eingehalten, und die Gebäude wurden in den meisten Fällen weiterhin mit einem Satteldach abgeschlossen, was selbst im Rahmen aller Transformationen noch eine gewisse Kontinuität im Stadtbild sicherstellte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das barocke Straßenmuster weitgehend wiederhergestellt. Dort, wo mit der restaurativen Haltung des frühen Wiederaufbaus das historische Straßenmuster mit Fluchtlinien, Satteldächern und gleichmäßigen Traufhöhen als Grundsatz übernommen wurde, wie z.B. bei einigen Baublöcken an der Friedrichstraße oder der Nordseite der Gartenstraße, blieb die Kontinuität mit dem Barock erhalten, auch wenn die Geschossigkeit und Parzellenbreite geändert bzw. erhöht und die Architektur abstrahiert wurde. Wo die Parzellierung in Einzelhäuser mit der ursprünglichen Traufhöhe wieder aufgenommen wurde, wie z.B. im südlichen Teil der Winkelstraße und Klosterstraße, ist die Kontinuität zwischen den preußischen Typenhäusern und dem standardisierten Nachkriegswohnungsbau in seiner Schlichtheit und Rationalität bemerkenswert. Wo die Stadtstruktur nach modernistischen Prinzipien und dem zweiten Wiederaufbauplan von 1959 aufgelockert wurde, ist diese Kontinuität weniger offensichtlich. An mehreren Standorten wurden historische Baublöcke nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut. In erster Instanz ging es vor allem um die Schaffung von Stellplätzen für den ruhenden Verkehr, wie zum Beispiel DPKHXWLJHQ¶'U,VLGRU+LUVFKIHOGHU 3ODW]·XQGDP¶:LOO\*|OGHQEDFKV 3ODW]· In mehreren Straßen wurden die Fluchtlinien zurückgelegt, um dem modernen Verkehr Rechnung zu tragen, wie beispielsweise beim Durchbruch der zuvor eher schmalen Sankt Antonstraße, der Gartenstraße, der westlichen und östlichen Markstraße sowie der östlichen Dreikönigenstraße. An manchen Stellen wurden die Fluchtlinien aufgelockert, wie zum Beispiel an der Königsstraße und rund um die Dionysiuskirche. Zwischen Nordwall und der Carl Wilhelmstraße wurde im östlichen Bereich die historische Baublockstruktur komplett aufgehoben. Insbesondere die ehemals zahlreichen schmalen Baublöcke - wenn sie nicht für Parkplätze offen gehalten wurden - wurden mit einer offenen Bauweise ausgefüllt, also mit einer einzigen Zeile, auch kombiniert mit zugehörigen Höfen oder Garagen, beispielsweise zwischen der Schneiderstraße und der Lutherische-Kirch-Straße oder der Königs-, Loh- und Färberstraße. Hier wurde Zeilenbau errichtet, der sich aber von seinen barocken Vorgängern deutlich in Maßstab und in seiner aus GHU6WUDHQÁXFKW]XUFNJHOHJWHQ Situierung deutlich unterschied. Anton-Straße und Dreikönigen-/ Ecke Königstraße, wurden sogenannte Punkthäuser als städtebauliche Akzente hinzugefügt. Abgesehen von den zahlreichen Versuchen, die geschlossene Stadtstruktur mit zurückgelegten Fluchtlinien, offenen Räumen, Zeilen und Punkthäusern als städtebaulichen Akzenten aufzulockern und aufzubrechen, übertraf die Maßstabsvergrößerung bei der radikalen Neuordnung seit den 60er Jahren die Entwicklungen der Kaiser- und Zwischenkriegszeit bei weitem. Vor allem an der Rheinstraße, der Sankt-Anton-Straße und der Friedrichsstraße ist das gut erkennbar. Selbst in den letzten Jahrzehnten wurden noch ganze Baublöcke komplett durch große Einzelgebäude oder -komplexe ersetzt, und dieser Trend der Maßstabsvergrößerung setzt sich bis heute fort. Auch die Dachlandschaft wurde beeinträchtigt. Satteldächer wurden seit den 60er Jahren - selbst an den Hauptachsen - immer weniger gebaut. Dies führte zu einer 9HUÁDFKXQJXQG9HUDUPXQJGHU barocken Stadtstruktur, die wie alle historischen Stadtstrukturen vor der Zwischenkriegszeit immer aus Einzelgebäuden als Grundbaustein und der separaten städtebaulichen Schicht der Dachlandschaft bestand. Der Theaterplatz wurde nach dem Krieg über den historischen Verlauf der Lohstraße hinweg angelegt. An mehreren Stellen, beispielsweise an der Rheinstraße/ Ecke Sankt168 2.3.3 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Färbe e Luth richst raße Fried raße rstraß Lohst st König ße kstra Fabri raße aß erstr Klost traße irch-S he-K erisc l. Spielp ße nstra Garte r- te Thea platz e -Straß e ilhelm Carl-W 59 ch 19 hbru Durc chtline er Von d Pl. n Leye de Flu en tituier Kons -Anto Sankt aße n-Str Abb. 2.0_47 Neumarkt 2020 straß Rhein L+M e STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU chtline en tituier de Flu Kons Durc chtline Kons nstra Durc ße de Flu ch hbru 1959 pl. Park e e fstraß Anne Pl. Frank- straß Hoch e straß König nige ö Dreik en tituier Step aße anstr h Parzellierung fehlend aufgehobene Straße fehlende Bebauung sehr hoher kulturhistorisch architektonischer Wert hoher kulturhistorisch architektonischer Wert positiver kulturhistorisch architektonischer Wert KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE enho Parzellierung konstituierend nach Katasterplan 1930 Wied Parzellierung konstituierend nach Urkataster 1826 Neut mark Göld Willy- s-Pl. h enbac $EEB REHQ 1HXPDUNW Der barocke Neumarkt hat ein angenehmes Maß XQGLVWUlXPOLFKNODUGHÀQLHUW'LH%HEDXXQJ an der Ost- und Südseite des Platzes weicht in Maßstäblichkeit und Architektur deutlich von der konstituierenden Architektur ab. Die Fassaden VLQGÁDFKXQGGLH6RFNHOJHVFKRVVHKDEHQ]XP Platz hin kaum Eingänge. An der südwestlichen Ecke sind einige Parzellen nur eingeschossig bebaut. Hier ist die barocke Parzellierung noch erhalten. konstituierende Fluchtlinien nach Urkataster 1826 und Katasterplan 1930 Fluchtlinien fehlend ch 19 raße Lohst raße Marktst 59 hbru Abb. 2.0_48 Ausschnitt Überlagerungskarte 1 barocke Akzisestadt mit konstituierender Bausubstanz Im Gebiet der barocken Stadterweiterungen blieben bauliche Zeugnisse aus der konstituierenden Zeitschicht erhalten. Neumarkt, südliche Hochstraße und die monumentale Friedrichstraße blieben in ihrer Räumlichkeit und Parzellenstruktur größtenteils erhalten. Quer- und Parallelstraßen wurden verbreitert und Baublöcke nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut. 169 2.3.3 L+M STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Abb. 2.0_54, 55 und 56 (obere Reihe) ¶'U,VLGRU+LUVFKIHOGHU3ODW]· 'LH)UHLÁlFKH]ZLVFKHQGHU.|QLJVWUDHXQGGHU Lohstraße wurde nach der Kriegszerstörung als Park- und Spielplatz offen gelassen. Entlang der Dreikönigenstraße war ein Pavillon mit Café und Toiletten geplant. +HXWHZLUGGLH)UHLÁlFKHDOV3DUNSODW]JHQXW]W Sie ist mehr als vier mal so groß wie der Neumarkt. Die angrenzende Bebauung hat NHLQHQ%H]XJ]XU)UHLÁlFKH Abb. 2.0_49, 50 und 51 (untere Reihe) ¶$QQH)UDQN3ODW]· 'LH)UHLÁlFKHDQGHU0KOHQVWUDHHQWVWDQG durch Abriss einer denkmalgeschützten +RFKJDUDJHGLHLQGHUKLVWRULVFKHQ%DXÁXFKW VWDQG'LH)UHLÁlFKHLVWHWZDGRSSHOWVR groß wie der Neumarkt und hat keine NODUGHÀQLHUWHQ5DXPNDQWHQ6LHZLUGDOV Spielplatz genuzt. Entlang der Mühlenstraße steht eine provisorische Überdachung für Außengastronomie, die zur Straße orientiert ist. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_52 und 53 (Mitte) öffentlicher Raum 6WUDHQSURÀOHXQGSÁDVWHUXQJHQLP*HELHWGHU südlichen barocken Stadterweiterung sind sehr unterschiedlich. Abgesehen von der kleinteilig JHSÁDVWHUWHQ0KOHQVWUDHÀQGHWVLFKYRU DOOHP$VSKDOWQLHGULJZHUWLJH%HWRQSÁDVWHU XQGÁLHVHQXQGYHUHLQ]HOWGLHGLDJRQDOHQ Granitplatten aus der Gründerzeit. Abb. 2.0_57(rechts) ¶:LOO\*|OGHQEDFKV3ODW]· 'LH)UHLÁlFKH]ZLVFKHQGHU:LHGHQKRIVWUDH und der Scheutenstraße wurde nach der Kriegszerstörung als Parkplatz offen gelassen. Heute wird sie zum Teil als Parkplatz genutzt und zum Teil ist sie als öffentliche Grünanlage gestaltet. Wie auch bei den vorgenannten Plätzen geht die Bebauung der Platzränder NHLQHGLUHNWH%H]LHKXQJ]XU3ODW]ÁlFKHHLQ 170 2.3.3 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK S Abb. 2.0_58 konstituierende Blockstruktur GEBÄUDE UND GEBÄUDEENSEMBLES Abb. 2.0_59 barocke Typenhäuser in der südlichen Hochstraße um 1900 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_60 und 61 südliche Hochstraße Die Parzellenstruktur des barocken Teils der Hochstraße ist fast vollständig erhalten geblieben. Die Architektur der heutigen Bebauung weicht in ihrer Fassadengliederung und Materialisierung von der ursprünglichen Bebauung ab. Die Schaufenster und Außenwerbung sind wie im mittelalterlichen Teil der Hochstraße verselbständigt von den darüber liegenden Hausfassaden. 171 2.3.3 ABGLEICH 3D BAROCK 2.3 ABGLEICH 3D Abb. 2.0_62, 63, 64 und 65 Friedrichstraße %LVDXIGDV)ORK·VFKH+DXVZXUGHQZHGHU die charakteristischen und repräsentativen Eckhäuser noch die dazwischen liegenden Typenhäuser der konstituierenden Bebauung nach der Kriegszerstörung wieder aufgebaut. Die Bebauung der 50er Jahre orientiert sich jedoch eindeutig und auf zumeist gelungene Weise an der ursprünglichen Räumlichkeit der barocken Stadtanlage. Hier werden Traufhöhen, Sockelgeschosse und Fassadengliederung der konstituierenden Architektur neu interpretiert. Die Bebauung der späten 60er, 70er und 80er Jahre weicht zum Teil deutlich von der barocken Stadtstruktur ab. Der Straßenraum besitzt immer noch die harmonischen Proportionen des Barock, wird heute aber nicht als Aufenthaltsraum, sondern YRUDOOHPIUGHQÁLHHQGHQXQGUXKHQGHQ Verkehr genutzt. Die Bürgersteige sind sehr schmal. Wie auch im südlichen Teil der barocken 6WDGWHUZHLWHUXQJHQLVWGLH3ÁDVWHUXQJQLFKW einheitlich. Sie besteht vor allem aus Asphalt, %HWRQVWHLQHQXQGÁLHVHQXQG6WUHLIHQGHV diagonalen Gründerzeitplasters. 'LHVSRUDGLVFKHLQVHLWLJJHSÁDQ]WHQ%lXPH konterkarieren die symmetrische Anlage der einstigen Hauptachse der Stadt. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 172 2.3.3 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Abb. 2.0_66 Apollo Kino, Friedrichstraße L+M STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU Abb. 2.0_67 Friedrichstraße Auch im südlichen Teil der Friedrichstraße blieb die barocke Parzellenstruktur - bis auf das heutige Kaufhaus C&A - großenteils erhalten. Die Architektur der noch erhaltenen Bebauung, vor allem des Apollokinos, wurde schwer beeinträchtigt. Abb. 2.0_68 Friedrichstraße um 1900 Die charakteristischen barocken Eckhäuser der Friedrichstraße an der Ecke zur Rheinstraße, die eine Torsituation bildeten, waren schon in der Kaiserzeit durch repräsentative Bauten des Einzelhandels ersetzt worden. Das charakteristische barocke Eckhaus an der Sankt-Anton-Straße wurde wegen des Baus der Straßenbahn durch einen abgerundeten Bau ersetzt. Heute steht hier das Ziellenbachhaus. Der im 18. Jahrhundert großzügig angelegte Straßenraum wirkt heute beengt. Der große Maßstab von C&A, aber auch die höhere Geschossigkeit der Gründerzeitbebauung an der Westseite verschattet den als Fußgängerzone JHSÁDVWHUWHQ5DXP'DV6WUDHQSÁDVWHUJOHLFKW in seiner Gestaltung dem mittelalterlichen Teil der Hochstraße. Die Bäume stehen hier symmetrisch und betonen die barocke Achse. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 173 2.3.3 Abb. 2.0_69 (links unten) Blick in die Rheinstraße in Richtung der noch barocken Dionysiuskirche, um 1900 Die barocken Eckhäuser als Tor zur monumentalen Friedrichstraße sind am rechten Bildrand noch klar zu erkennen. 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Abb. 2.0_71 (unten) Blick in die Rheinstraße um 1920. Die barocken Eckhäuser zur Friedrichstraße wurden in der Kaiser- und Zwischenkriegszeit durch repräsentative Bauten des Einzelhandels ersetzt. Es entstand eine neue Torsituation, jetzt aber in Bezug auf die Rheinstraße, die auf den neuen Turm der Dionysiuskirche ausgerichtet ist. Damit wurde auch architektonisch der Schwenk von der Nord-Südachse auf die neue OstWestachse vollzogen. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_70 Blick in die heutige Rheinstraße. Die beiden charakteristischen Kaufhäuser aus der Zwischenkriegszeit blieben erhalten. Ihre Architektur wurde stark beeinträchtigt. Die asymmetrische Platzierung der Bäume konterkariert die symmetrische barocke Anlage der Straße. Abb. 2.0_73 (oben) Blick in die Rheinstraße von der Ecke Königstraße aus. Die historischen Fluchtlinien blieben erhalten. Auf der linken Seite ist auch die Parzellierung noch ablesbar, an der rechten Seite ging sie verloren. Die Traufhöhe und Fassadengliederung paßt nicht in den barocken Kontext. Die asymmetrische Platzierung der Bäume konterkariert die symmetrische barocke Anlage der Straße. Abb. 2.0_72 (unten) Von-der-Leyen-Platz Der Platz vor dem Rathaus entstand aus einer Kriegsbrache vor dem Rathaus, die bei der Neuordnung der Innenstadt freigelassen wurde, ]XQlFKVWDOV$EVWHOOÁlFKHIUGHQUXKHQGHQ Verkehr, später als Rathausvorplatz. 174 2.3.3 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Abb. 2.0_76 & $6DQNW$QWRQ6WUDH(FNH Friedrichstraße Nattler Architekten, Essen Der Bau bricht in Maßstab und Fassadengliederung deutlich mit den Prinzipien der konstituierenden Architektur der Innenstadt. 'DV6WUDHQSURÀOGHU6DQNW$QWRQ6WUDHLVW für den Durchgangsverkehr bemessen und wird durch langsame Verkehrsteilnehmer praktisch nicht genutzt. Bis auf Ost- und Westwall gibt es nur drei Fußgängerüberwege, obwohl es sechs Straßen in Nord-Südrichtung gibt. Damit schneidet die Sankt-Anton-Straße die nördliche Innenstadt Abb. 2.0_74 GDV¶)RUXP·6DQNW$QWRQ6WUDH(FNH Friedrichstraße msm meyer schmitz-morkramer gmbh, Köln Die gegliederte Fassade des Neubaus erinnert im weitesten Sinne an den ehemaligen Kaufhof. Der Bau liegt jedoch weder in der konstituierenden Fluchtlinie noch in der verschobenen Fluchtlinie von 1949. Abb. 2.0_77 9RONVEDQN6DQNW$QWRQ6WUDH(FNH Breite Straße Gerber Architekten, Dortmund Die heutigen Großbauten entlang der SanktAnton-Straße sind zumeist jüngeren Datums und von sehr unterschiedlicher architektonischer Qualität. Ihnen allen ist die hohe Traufhöhe und Flachdächer gemein, sowie eine gewisse Abstraktion und Flachheit in der Detaillierung. Abb. 2.0_78 Beim Wiederaufbau wurde die Sankt-AntonStraße für den Durchgangsverkehr verbreitert. +HXWHVWHKWDXIGHU(FNHHLQDXVGHU%DXÁXFKW JHVFKREHQHV¶3XQNWKDXV·DOVIUHLSODVWLVFKHU städtebaulicher Akzent. Es beeinträchtigt die Kohärenz der barocken Stadtanlage schwer. L+M STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU Abb. 2.4_75 Wiederaufbauplanung für die Sankt-Anton-Straße Der Verkehrsdurchbruch der Sankt-AntonStraße ging einher mit einer neuen Bebauung in Form freiplastisch platzierter Großbauten. 'LHXUVSUQJOLFKH%HEDXXQJGHU¶$FKVHGHU 0RGHUQH·EOLHELP%HUHLFKGHUEDURFNHQ Akzisestadt bis auf das Punkthaus Ecke Friedrichsstraße und das Ziellenbachhaus nicht erhalten. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 175 2.3.3 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Abb. 2.0_79a und 79b (links) Gartenstraße 'LHQ|UGOLFKH%DXÁXFKWXQG3DU]HOOHQVWUXNWXU EOLHEHUKDOWHQGLHVGOLFKH%DXÁXFKWZXUGH verschoben. Die Architektur der ersten Nachkriegsmoderne an der Nordseite greift die städtebauliche Anordnung der konstituierenden Bebauung auf, übernimmt aber nicht immer die historische Einteilung in Einzelparzellen. Die Länge des Baublocks wird stattdessen mit abstrahierten Zwerchgiebeln und Balkonen aufgelockert. Abb. 2.0_80a, b und c (mittlere Reihe) Schneiderstraße und Lutherische-Kirch-Straße 'LHKLVWRULVFKHQ%DXÁXFKWHQXQGGHUUlXPOLFKH Aufbau der barocken Wohnstraßen blieben intakt. Der Anteil zweigeschossiger Einzelhäuser unter einem Satteldach mit durchlaufender 7UDXÁLQLHLVWUHODWLYKRFKXQGELOGHWGLH charakteristische Räumlichkeit der barocken Akzisestadt ab. Abb. 2.0_81a und b (rechts) Lutherische-Kirch-Straße Im südlichen Abschnitt der Winkel- und Klosterstraße interpretiert ein Ensemble der ersten Nachkriegsmoderne sowohl GLHKLVWRULVFKHQ%DXÁXFKWHQXQGGLH Höhenentwicklung der Satteldächer und Traufhöhen, als auch die historische Parzellierung neu. Abb. 2.0_82 (links unten) Lutherische-Kirch-Straße, 1752 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 176 2.3.3 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Abb. 2.0_83 (links) Lutherische-Kirch-Straße 'LHZHVWOLFKH%DXÁXFKWEOLHEVDPWLKUHU kleinteiligen Parzellierung erhalten. Auch die typische zweigeschossige Bebauung bildet die ursprüngliche Räumlichkeit der Barockstadt ab. An der Ostseite wurde der geschlossene Baublock mit Garagenhöfen aufgebrochen und ging die charakteristische Raumkante verloren. L+M Abb. 2.0_84 (rechts) Der sechsgeschossige Zeilenbau an der Königstraße ist ins Blockinnere verschoben. 'LHJHVFKORVVHQH6WUDHQÁXFKWZLUGKLHU YRQHLQHU5DVHQÁlFKHPLWVXEXUEDQHU Anmutung unterbrochen. Die ursprüngliche Geschlossenheit des Baublocks sowie die historische Parzellierung gingen verloren. STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU Abb. 2.0_85 Der heutige Spielplatz an der Gartenstraße liegt an der Stelle eines barocken Häuserblocks. Abb. 2.0_86 An der Rückseite der heutigen Mediothek an GHU*DUWHQVWUDHZXUGHGLH%DXÁXFKWVFKRQLQ der ersten Wiederaurbauplanung von 1949 in die Achse der Hauptpost verschoben. Auf der ursprünglichen Straße ist heute ein Parkplatz. Mit dem Bau der Mediothek gingen auch die ursprünglichen Fluchtlinien der Königstraße und der Lohstraße verloren. Auch die ursprüngliche Parzellierung wurde nicht wiederhergestellt. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 177 2.3.3 S 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D BAROCK Abb. 2.0_87 (links oben) Klosterstraße Hinterhaus des ehemaligen Privathauses der Marianne Rhodius Friedrichstr. 18 mit Toreinfahrt an der Klosterstraße GEBÄUDE UND GEBÄUDEENSEMBLES KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_65 Friedrichstraße 27, Haus Floh Im nördlichen Teil der barocken Akzisestadt blieb mit dem Flohschen Haus ein Eckhaus der prachtvollen Anlage der Friedrichstraße aus dem 18. Jhdt. erhalten. Der opulente Fassadenschmuck ist späteren Datums. Abb. 2.0_88 barocke Hinterhäuser der Bebauung an der +RFKVWUDHJHVHKHQYRP¶$QQH)UDQN3ODW]· Abb. 2.0_89 Wohnhaus der ersten barocken Stadterweiterung an der Wiedenhofstraße 5 Abb. 2.0_90 Wohnhaus der ersten barocken Stadterweiterung an der Stephanstraße 65 Abb. 2.0_91-96 Details der heutigen Pflasterung Die Vielfalt der verwendeten Materialien ergibt einen unzusammenhängenden Flickenteppich. Die Materialien sind eher niedrigwertig. Im besten Fall wird mit diagonal verlegten Granitplatten die Gründerzeit zitiert. Kaum einer der Beläge passt zur barocken Stadtstruktur. 178 2.3.4 XL 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS BESCHREIBUNG DES KONSTITUIERENDEN RÄUMLICHEN SYSTEMS Die Stadterweiterung von Vagedes und ihre Ergänzung durch Umpfenbach rahmten die barocken Stadterweiterungen des 18. Jahrhunderts ein und veränderten die bis dahin unregelmäßige Hauptform der Stadt zu einem perfekten Rechteck, das nach französischem Vorbild scharf abgegrenzt wurde mit Baumalleen. Die Erweiterung kann, wie die preußischen Stadterweiterungen, als eigenständiges, zusammenhängendes städtebauliches System betrachtet werden, auch wenn die endgültige Umsetzung länger dauerte. Mit dieser Erweiterung wurde die bereits Ende des 17. Jahrhunderts begonnene, aber vor allem im 18. Jahrhundert vollständig zur Ausreifung gekommene Stadtstruktur fortgesetzt und beständigt. Sie basiert auf einem Straßenraster und Fluchtlinien, Traufhöhen und Satteldächern in strenger Linearität. Doch obwohl das Straßenmuster, die Straßenbreiten und Fluchtlinien nahtlos mit den Straßen der barocken Stadterweiterungen verbunden sind, kann die neue Phase nicht einfach als Fortsetzung der Barockstadt des 18. Jahrhunderts angesehen werden. Sie war vielmehr eine neue Variation des bestehenden Themas der barock-klassizistischen Rasterstadt. Dies war auf die völlig neuen politischen und sozialen Bedingungen zurückzuführen, unter denen sie zustande kam. Wie bei den vier früheren Stadterweiterungen aus dem 18. Jahrhundert bestand der Großteil des Gebäudebestands aus Häusern, in denen auch Waren produziert KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE wurden, hauptsächlich für die heimische Seidenindustrie. Vagedes schuf ein zusammenhängendes Stadtbild, in dem die verschiedenen Gestaltungsmaßstäbe eng miteinander verbunden waren, jedoch weniger starr als die Vorgänger des 18. Jahrhunderts. Das Stadtbild von Vagedes konzentrierte sich so weit wie möglich auf Einheit und auf visuelle Ruhe, Ordnung und Rhythmus durch lange, durchgehende Linien von Straßen, Dächern, Trauf- und Gurtgesimsen und Fensterhöhen. Im Gegensatz zu den barocken Stadterweiterungen gibt es keine direkten Anweisungen dafür, dass die Gestaltung hier - abgesehen von den Fluchtlinien und Traufhöhen und der Einrichtung und Materialisierung der Straßen selbst - reglementiert wurde. Eine Steuerung der Fassadenkomposition, Gurtgesimse und Fensterpositionen oder die Verwendung von Material und Farbe scheint weder in der Vagedes- noch in der Umpfenbach-Zeit praktiziert worden zu sein. Es ist bekannt, dass in der Umpfenbach-Zeit die Traufhöhen reguliert wurden, auch wenn die 5HJHOQÁH[LEHOZDUHQ$XVGHU=HLWYRQ Vagedes ist solch eine Kontrolle nicht bekannt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich schon bei der Erstbebauung traufständige zweigeschossige mit dreigeschossigen Häusern abwechselten, vergleichbar mit den Gebäudevolumen der Carlstadt in Düsseldorf - ebenfalls von Vagedes geplant. Wenn diese Aspekte tatsächlich weniger reguliert wurden, dann hängt dies wahrscheinlich mit der neuen Ära zusammen, in der dieser Plan zustande kam. Nach der französischen Besatzung waren die Möglichkeiten beschränkt, ohne Rücksicht auf private Interessen und lokale Behörden Pläne von oben im Detail durchzusetzen. Aus diesem Grund weicht der Vagedesplan in noch einem wesentlichen Aspekt von seinen Vorgängern aus dem 18. Jahrhundert ab: die der Stadterweiterung zugrunde liegende Landschaft und bereits vorhandene Gebäude wurden nicht vollständig ausgelöscht und mit einer völlig neuen Struktur überschrieben. Nur an wenigen Stellen zeigt sich dies auch im öffentlichen Raum, beispielsweise in der schräg verlaufenden Lindenstraße und einigen bemerkenswert schmalen Baublöcken entlang der früheren Stadtmauer, wo die alten Straßen außerhalb der Stadtmauer und die dort entstandenen Gebäude in das Stadtmuster einbezogen werden mussten (z.B. Petersstraße, Mittelstraße). Ansonsten ist nur an den informellen Blockinnenbereichen anhand der Grundstücksgrenzen zu sehen, wo die vorstädtischen, ehemaligen landwirtschaftlichen Grundstücksgrenzen verliefen. Nur das für die Straßen bestimmte Land wurde erworben bzw. enteignet, nicht aber die Baugrundstücke. Auch die Bebauung in der Stadterweiterung von Vagedes und Umpfenbach scheint - obwohl aus der Literatur nicht belegt - weniger rigide reglementiert gewesen zu sein als in der BarockZeit. Zeilenbebauung ist auf den Plankarten aus der Entstehungszeit nicht ablesbar. Vielmehr entstand hier eine Stadtstruktur mit allseitig geschlossenen Baublöcken. Auch in der Stadterweiterung von Vagedes wurde zwischen den repräsentativeren Hauptstraßen und den einfacheren und schmaleren Nebenstraßen unterschieden. Das Ergebnis war jedoch weniger formal als bei den Erweiterungen aus dem 18. Jahrhundert. Die Entstehung der Bebauung verlief langsam und war viel stärker von privaten Initiativen abhängig. Die Stadtstruktur enthielt drei formale Besonderheiten: die in einem Rechteck angelegten Baumalleen als Promenade um die Stadt, den Friedrichsplatz als monumentale Vollendung der Anlage am vormaligen barocken Stadttor und in geringerem Maße der Dionysiusplatz, mit dem der katholische Friedhof überplant wurde. Der Vagedesplan vervollständigte damit den barocken Stadtgrundriss und schuf gleichzeitig auf eine in Deutschland neuartige Weise die strenge und sehr elegante städtebauliche Anlage der Wälle, mit der die Stadt räumlich eingerahmt wurde. Die Stadterweiterung von Vagedes war nicht nur in sich selbst schlüssig und zusammenhängend, sondern schloss sich nahtlos an die Barockstadt an. Die städtebaulichen und architektonischen Grundprinzipien der barocken und der klassizistischen Stadtanlage waren durchaus ähnlich. Die Straßen und Fluchtlinien der Stadterweiterung von Vagedes und die der barocken Stadterweiterungen waren nahtlos miteinander verbunden. Der Vagedesplan vollendete die Barockstadt mit dem klaren Rahmen der Vier Wälle. Der Vagedesplan hat die Stadtentwicklung Krefelds ab dem späten 17. Jahrhundert zeitlich und räumlich vollendet. Eine neue Erweiterung der Stadt war danach zwar immer noch möglich, aber nicht mehr unmittelbar im Anschluss an die vorindustrielle Stadt, sondern unter Berücksichtigung der Anlage der Vier Wälle als monumentaler Übergang. Umpfenbach hatte das begriffen. Beim Sprung über die Wälle integrierte er nicht nur die baumreichen Promenaden, sondern verbreiterte sie noch. Mit einer repräsentativen, etwas höheren Bebauung entlang der Wälle wurde die Stadtgrenze umgewandelt in Boulevards von großstädtischer Allüre. 179 2.3.4 XL ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS Die Kontinuität des klassizistischen Gefüges ist in Bezug auf den Stadtgrundriss noch weitgehend vorhanden. Durch radikale Veränderungen während des Wiederaufbaus ist der Stadtgrundriss vor allem im östlichen und nordöstlichen Teil der Stadt beeinträchtigt und zum Teil nicht mehr lesbar. Straßen und Fluchtlinien wurden hier aufgehoben und der Maßstab der Bebauung deutlich vergrößert. Der südliche und westliche Teil der Innenstadt blieb sowohl im Grundriss als auch in seiner Räumlichkeit erhalten. Die monumentale Anlage der Vier Wälle und des Friedrichsplatzes ist mit Ausnahme von Teilen des Ostwalls noch relativ gut erkennbar. Die Gestaltung als öffentlicher Raum zum Flanieren wurde unter anderem durch die Ausdünnung der Baumreihen und der Zweckentfremdung des Mittelstreifens stark beeinträchtigt. mittelalterlicher Stadtkern oranische Stadterweiterung barocke Planstadt Abb. 2.0_15 konstituierende Zeitschichten KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE klassizistische Stadtanlage 180 2.3.4 XL 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS ABGLEICH 2D - 3D Der Grundriss der Stadterweiterungen von Vagedes und Umpfenbach blieb bis zum Zweiten Weltkrieg stabil und überstand die Transformationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bis auf wenige Ausnahmen unbeschädigt. Die Veränderungen, die die Stadtstruktur in dieser Zeit erlebte, sind insofern eher als Fertigstellung zu verstehen, denn nun wurden auch die um 1850 noch unbebauten Parzellen bebaut. Auf einer Katasterkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert ist die Stadtstruktur bis auf wenige Stellen vollständig geschlossen. Es gibt vereinzelt noch einseitig bebaute Baublöcke, aber hauptsächlich zweioder vierseitig bebaute Baublöcke. Es gibt Unterschiede in der Breite der Parzellen, aber diese sind viel weniger offensichtlich als in der ursprünglichen Situation der Barockstraßen. Die größeren städtebaulichen Veränderungen spielten sich vor allem in den Hauptachsen der Stadt ab: Rheinstraße, Friedrichsstraße und Hochstraße, auch südlich vom Neumarkt. Von der Gründerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg entstand vor allem im mittelalterlichen Stadtkern und einem Teil der Barockstadt ein Einzelhandelsund Dienstleistungszentrum. Dies führte zu einer deutlichen Maßstabsvergrößerung durch den Bau von Kaufhäusern, zum Teil auf zusammengelegten Parzellen. Die klassizistische Stadterweiterung innerhalb der Wälle wurde weniger stark beeinträchtigt durch diese Entwicklungen. Die Bebauung entlang der Vier Wälle war ursprünglich eine Etage höher als KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE die Bebauung dazwischen. Bis zum Zweiten Weltkrieg blieb sie von einer Maßstabsvergrösserung weitgehend verschont. Trotzdem wandelte sich die Anlage von Vagedes und Umpfenbach an den Vier Wällen am meisten. Umpfenbach hatte die Vier Wälle als großstädtische Boulevards mit dreiund am Ostwall selbst mit vierfachen Baumreihen angelegt. Aber schon ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde diese französisch anmutende, strenge Anlage zum Teil gärtnerisch umgestaltet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden nicht nur am Ostwall Straßenbahnschienen angelegt und Haltestellen gebaut, die die Anlage unterbrachen. Auch der Westwall war schon vor dem Krieg unterbrochen worden, aufgrund neuer Gestaltungsideen und der Unterbringung des Wochenmarktes. Bei der Bombardierung von 1943 war der südwestliche Teil der Innenstadt am wenigsten betroffen. Hier gibt es noch viele Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, weshalb die klassizistische Stadterweiterung sowohl im Grundriss als auch in räumlicher Hinsicht erhalten blieb. Dort, wo die Bebauung zerstört wurde, wurde das klassizistische Straßenmuster weitgehend wieder übernommen. Wo im Geiste des frühen Wiederaufbaus das historische Straßenmuster, die Traufhöhen, die Parzellierung in einzelnen Häusern, die Fluchtlinien und die Satteldächer als Grundsätze übernommen wurden, wie an den Vier Wällen, in Teilen der Breite Straße oder der Schneiderstraße, ist die Kontinuität mit dem klassizistischen Städtebau am größten, obwohl die ursprüngliche Traufhöhe um ein Geschoss erhöht XQGGLH$UFKLWHNWXUKlXÀJDEVWUDKLHUW wurde. Diese Kontinuität ist auch bei einer Vergrößerung des Maßstabs sichtbar, wenn die vorgenannten Merkmale berücksichtigt wurden. Dies ist sehr auffällig am Friedrichsplatz, der aufgrund der Instandhaltung der historischen Fluchtlinien, der geschlossenen Blockrandbebauung und der Verwendung von Satteldächern immer noch als monumentaler Raum erkennbar ist. Wo der nach modernistischen Ideen der gegliederten und aufgelockerten Stadt angepasste Wiederaufbauplan von 1959 umgesetzt wurde, ist diese Kontinuität weniger offensichtlich und das Stadtgefüge ist inkohärent geworden. Jetzt wurde danag gestrebt, das geschlossene Stadtgefüge aufzulockern und mit zurückgelegten )OXFKWOLQLHQQHXHQ)UHLÁlFKHQXQG modernistischen Gebäudetypologien aufzubrechen, Wie auch im barocken Teil der Stadt wurden an mehreren Stellen historische Baublöcke nach dem Krieg nicht mehr aufgebaut, um im Stadtzentrum Raum für den ruhenden Verkehr zu schaffen. So geschah HVDP¶0D[3HWHUPDQQ3ODW]· GHP¶'U,VLGRU+LUVFKIHOGHU3ODW]· dem Von-der-Leyen-Platz und dem nördlich davon gelegenen Spielplatz. Dies betraf insbesondere die schmaleren Baublöcke, die in Krefeld HLQHVSH]LÀVFKHPRUSKRORJLVFKH Geschichte haben. In einigen Straßen, aber weniger als in der Barockstadt, wurden die Fluchtlinien konsequent auf einer Seite zurückgelegt, um Raum für den Autoverkehr zu schaffen, beispielsweise in der zuvor engen Sankt-Anton-Straße und im östlichen Teil der Marktstraße und der Dreikönigenstraße oder bei der Haltestelle am Ostwall. Durch die Verschmelzung von Baublöcken, insbesondere zwischen Nordstraße und Nordwall, rundum das Polizeipräsidium, sind mehrere Straßen vollständig verschwunden. Dieser Teil des historischen Stadtzentrums hat heute ein modernistisches, offenes städtebauliches Muster und der historische Stadtgrundriss ist hier nicht mehr lesbar. Der Ostwall hat sich aufgrund der Einrichtungen für den Verkehr zwischen Carl-Wilhelm- und Neue Linnerstraße bereits erheblich verändert. Hier wurde Infrastruktur geschaffen, die nichts mehr mit der historischen Anlage als Boulevard zu tun hat. Auch zwischen der Haltestelle am Ostwall und der Lohstraße hat eine VLJQLÀNDQWH0DVWDEVYHUJU|HUXQJ stattgefunden. Dies ist weniger am westlichen und südlichen Stadtrand der Fall. nicht mehr als kontinuierlicher Stadtraum erkennbar. Die städtebaulich - räumliche Grundlage des Schwanenmarktkomplexes, für den mehrere historische Baublocks überbaut wurden, stellt in ihrer Geschlossenheit zum öffentlichen Raum und in ihrer Massivität einen Bruch mit der kleinteiligen, historischen Stadtstruktur von Vagedes dar. Derartige Maßstabsvergrößerungen werden an anderen Standorten der Innenstadt bis heute praktiziert, u.a. mit dem Bau des Behnischhauses um das Jahr 2000. Satteldächer werden bei Neuentwicklungen immer weniger verwendet. Dies stellt eine Beeinträchtigung der städtebaulichen barock-klassizistischen Stadtstruktur dar, die - wie alle historischen Stadtstrukturen vor der Zwischenkriegszeit - immer aus der charakteristischen Unterscheidung ]ZLVFKHQGHU¶%DVLV·GHU*HElXGH und der separaten Schicht der Dachlandschaft bestand. Die Maßstabsvergrößerung der Bebauung ab den 60er Jahren übertraf alle Entwicklungen der Kaiser- und Zwischenkriegszeit. Wenngleich dies im barocken und mittelalterlichen Teil der Stadt drastischere Folgen hatte, wurde auch der Plan von VagedesUmpfenbach dadurch stellenweise stark beeinträchtigt. Der Schwanenmarktkomplex, der an die Breite Straße grenzt, ist ein Vorbild für solch eine Beeinträchtigung. Die Breite Straße, bis dahin eine durchgängig und zusammenhängend bebaute Straße, ist aufgrund der deutlich abweichenden Fluchtlinien 181 2.3.4 2.3 ABGLEICH 3D ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS e straß Nord traße eiders Schn traße dess Vage platz richs Fried wall Nord -Stra ilhelm ße Carl-W 59 tline ch 19 hbru Fluch Durc ende tituier Kons ße a n-Str t-Anto Sank ll a Ostw Abb. 2.0_97 Friedrichsplatz und Nordwall e straß Rhein West wall L+M yDion l. siusp Neue ße enstra aße er Str Linn Lenss STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU 59 ne ch 19 Fluchtli hbru Durc tituierende tline Kons Fluch ende 59 tituier Kons hbruch 19 Durc tstra Mark ße aße sstr Evert chtline Flu ende tituier 59 Kons ch 19 hbru Durc konstituierende Fluchtlinien nach Urkataster 1826 und Katasterplan 1930 ß rsstra Pete Fluchtlinien fehlend tline Fluch 59 ende ch 19 tituier hbru Durc Kons e Parzellierung konstituierend nach Urkataster 1826 h Step Breit aße e Str Parzellierung konstituierend nach Katasterplan 1930 ße nstra nige ö Dreik pl. Karls ße lstra Mitte anstr aße eterMax-P l. n-P man Parzellierung fehlend aufgehobene Straße Lindenstraße fehlende Bebauung Abb. 2.0_98 Ausschnitt Überlagerungskarte 1 Klassizismus mit konstituierender Bausubstanz Im Gebiet der klassizistischen Stadterweiterungen blieben viele bauliche Zeugnisse aus der konstituierenden Zeitschicht erhalten. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE all Südw sehr hoher kulturhistorisch architektonischer Wert hoher kulturhistorisch architektonischer Wert positiver kulturhistorisch architektonischer Wert 182 2.3.4 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS L+M STADTGRUNDRISS UND RÄUMLICHER AUFBAU KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_102 Bahnhofsvorplatz Der Bahnhofsvorplatz ist der wichtigste Stadteingang ins Wallgeviert. Der Ostwall wurde 1840 bis an den neuen Bahnhof verlängert. Bei der Neuordnung der Innenstadt in der zweiten Wiederaufbauphase wurde der Eingang zum Ostwall mit modernen Torbauten akzentuiert, links mit einer Rasterfassade, rechts mit einer Bandfassade. Die rote Farbe des letztgenannten Akzents konterkariert die beabsichtigte Symmetrie. Abb. 2.0_99, 100, 101 Friedrichsplatz Der Friedrichsplatz bildet den nördlichen Stadteingang ins Wallgeviert. Bis auf die fehlende Bebauung in der nordwestlichen Ecke an der Sternstraße ist die historische Stadtstruktur in Fluchtlinien, Traufhöhen und Dachformen mehrheitlich gut lesbar geblieben. +HXWHLVWGHU3ODW]YRUDOOHPDOV9HUNHKUVÁlFKH in Gebrauch. Die Platzmitte ist zwar grün gestaltet und mit einem Brunnen versehen, ist aber für Fußgänger nicht erreichbar. Abb. 2.0_103 Bahnhofsvorplatz Der eklektizistische Bau des Hauptbahnhofs bildet den Abschluß des Ostwalls in südlicher Richtung. Vom Bahnhofsvorplatz ist die Promenade auf dem Mittelstreifen des Ostwalls nicht direkt erreichbar. Abb. 2.0_104 Bahnhofsvorplatz, Luftbild Nachdem das im Jugendstil gebaute Hauptzollamt in den 70er Jahren für den EHVVHUHQ9HUNHKUVÁXVVDEJHULVVHQZRUGHQ war, wurde die fehlende Platzwand des Bahnhofsvorplatzes in den 90er Jahren wieder geschlossen mit dem CinemaXX Ensemble, dessen Bürotrakt von den Architekten Neuhoff Krefeld über die Straße hinweg gebaut wurde. 183 2.3.4 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS Abb. 2.0_106 nördliche Lohstraße Am nördlichen Ende des Ostwalls wurde bei der Neuordnung der Innenstadt eine Fläche für den ruhenden Verkehr designiert. Abb. 2.0_105 Theaterplatz Von der Freilegung für ein neues Theater ¶$WKHQDHXP· XPELV]XPQLFKW UHDOLVLHUWHQ%URULHJHOLQGHU%DXÁXFKWGHV Ostwalls in den 70er Jahren ist der heutige Theaterplatz das Ergebnis mehrerer radikaler Planungsentscheidungen und nicht ausgeführter Bauprojekte des 20. Jahrhunderts. Abb. 2.0_107 Max-Petermann-Platz In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der Max-Petermann-Platz als Spielplatz geschaffen. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_108 An der Alten Synagoge Auf der Kriegsbrache gegenüber dem Standort An der alten Synagoge steht seit den 70er Jahren ein kleines Mahnmal. Abb. 2.0_110 2VWZDOO(FNH1|UGOLFKH3HWHUVVWUDH Die mittelalterliche Route zwischen Krefeld und Moers ist bis heute im Stadtgrundriss ablesbar. Die städtebauliche Figur aus der ersten Wiederaufbauplanung betont die dominante Rolle der Wälle in Relation zu älteren Strukturen. Links im Bild die Uhr, die VHLWGHQ6FKOHUWUHII¶XQWHUGHU8KU· markiert. Abb. 2.0_109 184 2.3.4 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS Abb. 2.0_111 Ostwall Der südliche Abschnitt des Ostwalls weist noch viel historische Bebauung auf. Die Architektur ist zum Teil schwer beeinträchtigt. S Abb. 2.0_112 Ostwall Zwischen dem Südwall und der Haltestelle Rheinstraße ist der Mittelstreifen des Ostwalls noch als Promenade gestaltet und als solche nutzbar. Die zwei mittleren Baumreihen sind verschwunden, die verbliebenen Bäume sind zu monumentaler Größe angewachsen. Die Bebauung stammt zumeist aus der Nachkriegszeit, fügt sich aber - abgesehen von wenigen Ausnahmen - in die konstituierende Stadtstruktur ein. Abb. 2.0_113 Ostwall Die Haltestelle Ostwall/Rheinstraße wurde in der ersten Wiederaufbauphase angelegt. Das Ensemble aus den 50er Jahren wurde zum Teil durch spätere Bauten beeinträchtigt, ist DEHUQRFKJXWOHVEDU'LHURWH2EHUÁlFKHLP Vordergrund sowie die Laternen entstammen einem Konzept aus den 90er Jahren. Abb. 2.0_114 Ostwall Nördlich der Rheinstraße lösen sich die Fluchtlinien des Ostwalls auf. Nördlich der Carl-Wilhem-Straße sind sie wieder intakt, hier verschwand jedoch die Promenade auf dem Mittelstreifen zugunsten des Verkehrs. Das Polizeipräsidium steht auf dem nördlichsten Teil des Ostwalls, der hier bei der Neuordnung aufgehoben wurde. Abb. 2.0_116 West- und Südwall Am Westwall blieb viel historische Bausubstanz erhalten. Auch der Mittelstreifen ist größtenteils noch intakt. Dies gilt auch für den Südwall. Abb. 2.0_117 West- und Südwall Wo die Bebauung nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört war, wurde sie auch am Westwall mit Nachkriegsbebauung in der historischen Kubatur ersetzt. Die mittlere Baumreihe ist verschwunden, die verbliebenen Bäume sind zu monumentaler Größe angewachsen. Dies gilt auch für den Südwall. GEBÄUDE UND GEBÄUDEENSEMBLES x ma ma x. 30m 8m x. 1 ma KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_115 konstituierende Blockstruktur der Vier Wälle 185 2.3.4 Abb. 2.0_118a Sankt-Anton-Straße 'DV6WUDHQSURÀOGHU6DQNW$QWRQ6WUDHLVW für den Durchgangsverkehr bemessen und wird durch langsame Verkehrsteilnehmer praktisch nicht genutzt. Bis auf Ost- und Westwall gibt es nur drei Fußgängerüberwege, obwohl es sechs Straßen in Nord-Südrichtung gibt. Damit schneidet die Sankt-Anton-Straße die Innenstadt in zwei Teile. 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS An der Südseite der ursprünglich eher schmalen Sankt-Anton-Straße blieb noch ein Teil der ursprünglichen Parzellenstruktur erhalten. Der Verkehrsdurchbruch der Nachkriegszeit ging einher mit einer neuen Bebauung in Form freiplastisch platzierter Großbauten. Von der ¶$FKVHGHU0RGHUQH·EOLHEQXUGHU6GÁJHOGHV Rathauses von Hans Volger erhalten. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_118b Der Umbau des ehemaligen Warenhauses Horten von 1969 für den Textildiskonter Primark zitiert in seiner Formensprache im entferntesten Sinne eine klassische Formensprache, bietet dem Betrachter mit seiner abstrakten 3ODWWHQYHUNOHLGXQJMHGRFKZHQLJ¶$XJHQIXWWHU· Am Seidenweberhaus aus den 70er Jahren löst VLFKGHU6WDGWUDXPDXILQGHQÁLHHQGHQ5DXP einer eher landschaftlich gemeinten Gestaltung. Abb. 2.0_119-124 (unten) Details des Straßenbelags im Bereich der 6. und 7. Stadterweiterung Die Vielfalt der verwendeten Materialien ergibt einen unzusammenhängenden Flickenteppich. 186 2.3.4 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS Abb. 2.0_125 konstituierende Blockstruktur sekundärer Straßen Abb. 2.0_127 Wollstraße KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_126 Schneiderstraße Abb. 2.0_128 Lindenstraße Abb. 2.0_129 Breite Straße Im Straßenbild innerhalb der Vier Wälle ist noch viel konstituierende Bebauung erhalten geblieben. Die Fassaden wurden oftmals stark transformiert. Der öffentliche Raum besteht zum großen Teil aus Asphalt und wird von parkenden Autos dominiert. Die Straßenwände lassen die historische Parzellenstruktur gut erkennen. Die Architektur der Fassaden wurde durch Sanierungen und Modernisierungen größtenteils stark beeinträchtigt 187 2.3.4 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS Abb. 2.0_130 Ackermann Bauten Die historischen Fluchtlinien wurden in der Nachkriegszeit aufgelockert. Mit Punkthäusern wurden an der Gartenstraße neue Akzente gesetzt. Abb. 2.0_131 Ackermann Bauten Die Zeilenbebauung an der Lohstraße wurde teilweise zurückverlegt gegenüber der KLVWRULVFKHQ%DXÁXFKW S GEBÄUDE UND GEBÄUDEENSEMBLES Abb. 2.0_132 städtebauliche Akzente Punkthaus am Ostwall/ Ecke Moerser Straße KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_133 städtebauliche Akzente Zum Ostwall hin wurde die Gartenstraße in die Achse des Hauptpostamtes verschoben. Die Eckhäuser wurden hier mit abweichender Dachform als Akzente neu platziert. 188 2.3.4 Westwall ABGLEICH 3D KLASSIZISMUS Nordwall 2.0 EINLEITUNG Ostwall R R R R R R R R R R R R R R R R R R R R R R R Denkmal Architektur-Ikonen konstituierende Bebauung Vier Wälle KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE R Abb. 2.0_196 konstituierende Bebauung Entlang der Vier Wälle blieben viele Häuser aus der konstituierenden Zeitschicht erhalten. Sie sind maßgeblicher Teil des Stadtbilds der Prachtboulevards. Die wenigsten von ihnen stehen unter Denkmalschutz. Abb. 2.0_197 konstituierende Bebauung Übersichtskarte der Vier Wälle 189 2.3.5 ABGLEICH 3D KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT (ARCHITEKTUR - IKONEN) TRANSFORMATIONSSCHICHTEN Die repräsentativen öffentlichen Gebäude der Kaiserzeit entlang der Vier Wälle setzen monumentale Akzente entlang der ansonsten einheitlich mit neoklassizistischen Einzelhäusern bebauten Boulevards. Diese Architektur - Ikonen aus der Zeit, als Crefeld zur Großstadt wurde, blieben fast vollständig erhalten, sind aber heute nicht immer öffentlich genutzt bzw. zugänglich. Architektur -Ikonen Kaiserzeit Die prachtvollen Kaufhäuser der Kaiser- und Zwischenkriegszeit erinnern an den Reichtum Krefelds und verleihen der mittelalterlichen Stadtkrone großstädtisches Flair. Architektur-Ikonen Zwischenkriegszeit 9LHOHGLHVHU%DXWHQÀHOHQGHQ=HUVW|UXQJHQGHV=ZHLWHQ Weltkriegs - oder der Neuordnung in der zweiten Wiederaufbauphase der Stadt - zum Opfer. Nur zwei der LGHQWLÀ]LHUWHQ*HElXGHVWHKHQKHXWHXQWHU'HQNPDOVFKXW] Der größte Teil wurde stark beeinträchtigt durch Umbauten und Vernachlässigung. Wiederaufbau und Architektur-Ikonen der ersten Nachkriegsmoderne Abb. 2.0_xx Transformationsschichten KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Dissonanten 190 2.3.5 ABGLEICH 3D KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT (ARCHITEKTUR - IKONEN) 2.0 EINLEITUNG Abb. 2.0_134, 135 und 136 vlnr: Katholische Pfarrkirche Liebfrauen 1854 Architekt: Vinzenz Statz, ehemalige Reichsbank 1906 Architekt: Hermann Stiller, ehemalige Hauptpost 1894, Architekt: Paul Sell S GEBÄUDE UND GEBÄUDEENSEMBLES Abb. 2.0_137, 138 und 139 vlnr: Kaiser-Wilhelm-Museum 1897 Architekt: Hugo Koch, 1RUGÁJHO5DWKDXV Deutsche Bank Abb. 2.0_140, 103 und 141 vlnr: ehemalige ProvinzialGewerbeschule (heute Hannah-ArendtGymnasium) 1851 Architekt: Hilbig, Hauptbahnhof 1907, Carl Biecker, Katholische Pfarrkirche St. Stephan 1852 Architekt: Friedrich von Schmidt monumentale Akzente entlang der Vier Wälle Viele der in der Kaiserzeit entstandenen monumentalen öffentlichen Bauten entlang der Vier Wälle sind bis heute erhalten. Bei einigen von ihnen fehlen die Dächer, bei anderen die öffentliche Nutzung, die der Situierung entlang der großstädtischen Boulevards Recht täte. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 191 2.3.5 ABGLEICH 3D KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT (ARCHITEKTUR - IKONEN) 1. Friedrichstrasse 6 2.0 EINLEITUNG 9. Rheinstrasse 91-99 9 1 RHE 2. Rheinstrasse 129 INST RAS SE 8. Hochstrasse 127 Abb. 2.0_142 Stadtkern mit herausragenden Bauten aus der industriellen Periode (etwa 1870 - 1970) In der Zeit, in der Krefeld zur Großstadt wurde, entstanden zahlreiche repräsentative Bauten des Einzelhandels usw. Sie beziehen sich zunächst noch stark auf den klassischen Formenkanon der konstituierenden Architektur (siehe linke 6SDOWH VSlWHULVWGHXWOLFKGHU(LQÁXVVGHU architektonischen Moderne zu sehen. Fast alle Fassaden der hier abgebildeten Architektur-Ikonen wurden stark transformiert. Vor allem der architektonische Ausdruck im Sockelgeschoss ging vielfach verloren. Auch die Fenster der darüber liegenden Geschosse wurden stark abstrahiert. Die ursprüngliche Dachlandschaft fehlt oft gänzlich. 2 3 3. Hochstrasse 130 4 HOCHS TRASS E 8 Bis auf das auch im Inneren gut erhaltene Schirmhaus Schnitzler und das Modehaus Dhein (heute Thalia) steht keines der Objekte unter Denkmalschutz. Ihre Architektur wurde hier nicht weiter erforscht. 4. Hochstrasse 102 5 7 5. Hochstrasse 90 6. Hochstrasse 61 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 22.04.2020 10 6 7. Hochstrasse 85 10. Hochstrasse 64 192 222 KHA 2.3.6 ABGLEICH 3D WIEDERAUFBAU, ERSTE NACHKRIEGSMODERNE (ARCHITEKTUR-IKONEN) TRANSFORMATIONSSCHICHTEN Die Architektur der ersten Wiederaufbauphase weist eine bemerkenswerte Kohärenz mit der konstituierenden Stadtstruktur auf. Die historischen Fluchtlinien, Parzellenbreiten, Traufhöhen und Dachformen wurden großenteils aufgenommen. Die Häuser wurden vor allem für ein zusammenhängendes Stadtbild entworfen. Die Einzelhäuser stellen nicht unbedingt einen architektonischen Höhepunkt dar, bereichern das Straßenbild aber mit YHUIHLQHUWHU$EZHFKVOXQJ'HU&KDUPHGLHVHU¶$UFKLWHNWXU6FKlW]FKHQ·KDW das Stadtbild nachhaltig geprägt. Angesichts der Vielzahl von Einzelhäusern aus den 50er Jahren, die sich problemlos in die konstituierende Stadtstruktur einfügen und sie auf charmante Weise ergänzen, fällt die geringe Anzahl erhaltener ikonischer Bauten aus derselben Zeit auf. Architektur -Ikonen Kaiserzeit Architektur-Ikonen Zwischenkriegszeit Eine Inventarisierung und Erforschung der Architektur dieser für Krefeld so identitätsstiftenden Entwicklungsperiode ist darum empfehlenswert. Wiederaufbau und Architektur-Ikonen der ersten Nachkriegsmoderne KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Dissonanten 193 2.3.6 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D (567(1$&+.5,(*602'(51(¶.2167,78,(5(1'(%(%$881*· WIEDERAUFBAUPLAN 1949 Die Einzelhäuser stellen für sich selbst gesehen nicht unbedingt einen architektonischen Höhepunkt dar, bereichern das Straßenbild aber mit verfeinerter Abwechslung. Die Häuser wurden vor allem für ein zusammenhängendes Stadtbild entworfen. Zum neuen Geschosswohnungsbau wurde versucht, Treppenhäuser und Balkone in die vielfach gerasterten Fassaden zu integrieren. Auch mit der Artikulation des Sockelgeschosses und dem bewohnbaren Dachgeschoss wurde experimentiert. Der Charme GLHVHU¶$UFKLWHNWXU6FKlW]FKHQ·KDWGDV Stadtbild nachhaltig geprägt. Abb. 2.0_143 Westwall 186 $EEB1RUGZDOO(FNH6FKQHLGHUVWUDH Abb. 2.0_177 Ostwall 114 Abb. 2.0_144 Ostwall 92 Abb. 2.0_145 Ostwall 84 $EEB2VWZDOO(FNH0DUNWVWUDH $EEB2VWZDOO(FNH0DUNVWUDH $EEB2VWZDOO(FNH1HXH/LQQHU6WUDH¶)XQNKDXV.DPS· OLQNV$EEB Gartenstraße 19/ Ecke Friedrichstraße: der sensible Nachkriegsbau ist durch zu wenig konstrastierenden Anstrich der Fensterumrandungen, Balkone und Geländer in VHLQHUYHUIHLQHUWHQ:LUNXQJVWDUNYHUÁDFKW 0LWWH$EEB Lensensstraße 4 ist ein Beispiel dafür, wie sich die Funktionen im Inneren des Hauses in der Fassade abbilden, in diesem Fall das Treppenhaus mit bunten Glasbausteinen. Abb. 2.0_178 Ostwall 92 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE UHFKWV$EEB Lensensstraße 2 Hier sind die Einzelparzellen durch unterschiedliche Farben voneinander abgesetzt. Die Farben wurden jedoch nicht auf den Naturstein des Sockels abgestimmt, wodurch die Wertigkeit der Fassaden stark beeinträchtigt wird. 194 2.3.6 2.0 EINLEITUNG ABGLEICH 3D (567(1$&+.5,(*602'(51(¶.2167,78,(5(1'(%(%$881*· Abb. 2.0_153 (QVHPEOH1HXPDUNW(FNH0DUNWVWUDH Der Gebäudekomplex an der nordöstlichen Ecke des Neumarktes ist in gleich mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Das Eckhaus zitiert in entspannter Weise die Kubatur und kompositorischen Prinzipien des Barock. Mit der Kolonnade wird die Platzwand des Neumarktes visuell verlängert bzw. die öffnung zur Markstraße verkleinert. Abb. 2.0_155 (QVHPEOH1HXPDUNW(FNH0DUNWVWUDH Die Figur des vorstehenden Eckhauses ist von den Eckhäusern an der Friedrichstraße (1738) inspiriert. Die Architektur entlang der Marktstraße ist eindeutig der ersten Nachkriegsmoderne zuzuordnen, bezieht sich aber eindeutig auf die Architektur des Barock. 6REHÀQGHWVLFKREHUKDOEGHV]ZHLWHQ Obergeschosses ein stark ausgeprägtes Gesims, das den Straßenraum visuell abschließt. Das neue dritte Obergeschoss springt leicht zurück. Abb. 2.0_154 (QVHPEOH1HXPDUNW(FNH0DUNWVWUDH Das barocke Zitat geht wie selbstverständlich über in die zurückhaltende Architektur der ersten Nachkriegsmoderne. An der Ecke zur Scheutenstraße wird das Eckhaus wiederum deutlich hervorgehoben, und damit die barocken Prinzipien der Stadtstruktur zitiert. Abb. 2.0_156 Ansicht des Ensembles KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 195 2.3.6 ABGLEICH 3D ERSTE NACHKRIEGSMODERNE - ARCHITEKTUR - IKONEN Abb. 2.0_158 neuer Turm der Alten Kirche von 1952 2.0 EINLEITUNG Abb. 2.0_159 et Bröckske von 1952 Architekt: Schrüllkamp Die Brauerei und Gastwirtschaft folgt der Formensprache der konstituierenden Architektur, und ist in ihren Details doch deutlich als frühe Nachkriegsmoderne erkennbar. Auch die Innenräume sind bemerkenswert und zeittypisch. 'DV*HElXGHEHÀQGHWVLFKGXUFK/HHUVWDQGXQG Vernachlässigung in schlechtem Zustand. Abb. 2.0_157 Südflügel des Rathauses von 1957 Architekt: Hans Volger 'LHLNRQLVFKH5DVWHUIDVVDGHEHÀQGHWVLFKGXUFK Vernachlässigung in sehr schlechtem Zustand Abb. 2.0_160 Woolworth von 1957 Die hochwertige Natursteinfassade, das Erdgeschoss und Vordach wurden schwer beeinträchtigt. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_161 Fassade um 1990 DXVGHU6HULH¶*HVLFKWVSXQNWH·YRQ9RONHU'|KQH ARCHITEKTUR-IKONEN 50ER Angesichts der Vielzahl von Einzelhäusern aus den 50er Jahren, die sich problemlos in die konstituierende Stadtstruktur einfügen und sie auf charmante Weise ergänzen, fällt die geringe Anzahl erhaltener ikonischer Bauten aus derselben Zeit auf. Desto wichtiger ist eine Inventarisierung und Erforschung der Architektur dieser für Krefeld identitätsstiftenden Periode. 196 2.3.6 ABGLEICH 3D ZWEITE NACHKRIEGSMODERNE - ARCHITEKTUR - IKONEN 2.0 EINLEITUNG Abb. 2.0_162 (links) Wohn- und Geschäftshaus mit Rasterfassade DXI¶3LORWLV·XQGPLW'DFKWHUUDVVH5KHLQVWUDH Ecke Königstraße: durch den Anstrich der Brüstungen ist die Architektur nicht mehr gut lesbar. Abb. 2.0_164 (links) Das Mehrfamilienhaus an der Nordstraße ist nicht klar einzuordnen und besitzt sowohl Elemente der 50er Jahre (Satteldach, Setback)als auch der 60er Jahre (freie Fassadengestaltung). Hier wurden die Brüstungen als horizontale Bänder ausgebildet und mit feinem Mosaik bekleidet. Das Treppenhaus bildet sich ab in der Fassade. Abb. 2.0_165 (rechts) Wohn- und Geschäftshaus mit Natursteinfassade, Ostwall/ Ecke Stefanstraße: Der denkmalgeschützte Bau steht auf Stützen (Pilotis) und weist eine luftige, komplett offene Fassade auf. Hier wurden die Brüstungen mit niedrigen keramikverkleideten Bändern betont. Abb. 2.0_166 (links) Ein Büro- und Geschäftshaus markiert den Stadteingang Ostwall Ecke Hansastraße links eine gut erhaltene Rasterfassade, rechts eine schwer beeinträchtigte Bandfassade Abb. 2.0_167 (rechts) IG Metall am Ostwall Das Bürogebäude besitzt viele Merkmale der Architektur der 50er Jahre, weist aber gleichzeitig eine interessante Bandfassade aus alternierenden vor- und zurückspringenden Einzelfenstern auf, um die sich eine dunkle mäandrierende Faschierung schlängelt. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Abb. 2.0_168 Das Foyer des heutigen Stadttheaters wurde 19xx von xx Graubner vor das Theater aus der ersten Wiederaufbauphase gestellt. Die skulpturale, objekthafte Fassade bewahrt vollkommene Autonomie in Bezug auf ihren Kontext. ARCHITEKTUR-IKONEN 60ER In der zweiten Nachkriegsmoderne löste sich die Beziehung zur historischen Stadtstruktur und den Grundprinzipien der konstituierenden Architektur. Punkthäuser wurden jetzt als städtebauliche Akzente bewußt aus der Fluchtlinie gerückt und durchbrachen die einheitliche Traufhöhe. Die unaufgeregte Stadtstruktur sollte auf diese Weise aufgelockert werden. Den seit den 50er Jahren verwendeten Rasterfassaden, die sich noch deutlich auf ihre historischen Vorgänger bezog, folgten in den 60er Jahren Varianten, die sich mehr an der klassischen Moderne orientierten. Die so typischen Bandfassaden knüpfen an die fünf Punkte Le Corbusiers von 1923: - das Gebäude steht nicht auf der Straße sondern auf Stützen (pilotis) - Flachdach mit Dachgärten - freie Grundrißgestaltung durch Stützenraster - Bandfenster - freie Fassadengestaltung. 197 2.3.6 ABGLEICH 3D ZWEITE NACHKRIEGSMODERNE - DISSONANTEN AUTONOME GROSSFORM Das Seidenweberhaus und das Schwanenmarkt Center, beide aus den 70er Jahren, sind typische Vertreter einer Architektur, die sich von der Idee des geschlossenen Stadtmodells und seiner kleinteiligen Blockrandbebauung mit Einzelhäusern verabschiedet hat. Als autonome, skulpturale Großform lockern sie den Stadtraum zur ÁLHHQGHQ¶6WDGWODQGVFKDIW·DXI Abb. 2.0_169 Die Wohnungen des Schwanenmarkt Center wurden diagonal gestaffelt. Die erhöhten 3ÁDQ]HQEHHWHPDUNLHUHQLQHWZDGLH mittelatlerliche Fluchtlinie der Evertsstraße. Abb. 2.0_172 Der Bauriegel entlang des Ostwalls, der sowohl für den Ostwall als auch für den Theaterplatz klarere Raumkanten bedeutet hätte, wurde nicht realisiert. Abb. 2.0_170 Vom Dionysiusplatz aus ist die Hochhausscheibe JXWHUNHQQEDU'LH%DXÁXFKWHQWODQJGHU Breitestraße wurde zurückverlegt. Das Sockelgeschoss ist zum Platz und zur Breitestraße hin fast komplett geschlossen. Hier ÀQGHWYRUDOOHPGLH$QOLHIHUXQJVWDWWIUGDV Einkaufszentrum statt, das sich fast komplett zum Innenraum orientiert. Im Hintergrund ist noch die zum Komplex gehörige Hochgarage zu sehen. Abb. 2.0_171 Das brutalistische Seidenweberhaus wurde als freiplastisches Objekt frei in den Stadtraum JHVWHOOW(VELOGHWHLQH,QVHOLQHLQHU¶ÁLHHQGHQ 6WDGWODQGVFKDIW·'HU7KHDWHUSODW]YHUVFKZLPPW mit der Sankt-Anton-Straße und dem Ostwall. 'HU6WDGWUDXPLVWQLFKWPHKUHLQGHXWLJGHÀQLHUW KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 198 2.4 KERNIDENTITÄT 2.0 EINLEITUNG Aus Schritt 1 – Analyse und Schritt 2 – Abgleich ist die kulturhistorischstädtebauliche Kernidentität der Krefelder Innenstadt abzuleiten. Sie ist das Produkt der konstituierenden Zeitschichten und der späteren Transformationen, die einander überlagern und ineinander greifen. Das Benennen der Kernidentität ist keine unverbindliche Angelegenheit, sondern vielmehr die Bestimmung der historischen DNA der Innenstadt. Ihre funktionalen, räumlichen und architektonischen Komponenten bilden eine selbstverständliche Basis für zukünftige Entwicklungen des Gebiets. In funktionaler Hinsicht wird klar, auf welcher Grundlage die räumliche Gesamtform der Stadt sich entwickelt hat. In räumlicher Hinsicht ergibt sich die Kernidentität vor allem aus denjenigen Eigenschaften, die über einen sehr langen Zeitraum beständig geblieben sind, bzw. sich nur mit großer Trägheit verändert haben. In architektonischer Hinsicht wird deutlich, welche Grundprinzipien der Architektur der Krefelder Innenstadt zugrunde liegen, und wo davon abgewichen wird. 2.4.1 ZUSAMMENFASSUNG ABGLEICH UND KERNIDENTITÄT DER KREFELDER INNENSTADT 2.4.2 (;.856*581'35,1=,3,(1'(6 RÄUMLICHEN AUFBAUS 2.4.3 (;.856*581'35,1=,3,(1'(5 FASSADENARCHITEKTUR KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE S.200 S.205 S.207 199 2.4.1 KERNIDENTITÄT ZUSAMMENFASSUNG ABGLEICH )81.7,21$/ 5b80/,&+ $5&+,7(.721,6&+ XL L+M S VOR-INDUSTRIELLE MANUFAKTURSTADT GESCHLOSSENES STADTMODELL IDENTITÄTSSTIFTENDE BEBAUUNG - NUTZUNGSMISCHUNG 9,(5.2167,78,(5(1'(=(,76&+,&+7(1 - MITTELALTERLICHER STADTKERN - ORANISCHE STADTERWEITERUNG - BAROCKE PLANSTADT - KLASSIZISTISCHE STADTANLAGE KONSTITUIERENDE ARCHITEKTUR - BAROCK - KLASSIZISMUS - (WIEDERAUFBAUPLAN 1949) - WOHNEN UND ARBEITEN - FUSSGÄNGERSTADT '5(,5b80/,&+(6<67(0( - STADTKRONE - STRASSEN UND HÄUSER - VIER WÄLLE ARCHITEKTUR-IKONEN - KAISERZEIT - ZWISCHENKRIEGSZEIT - ERSTE NACHKRIEGSMODERNE DISSONANTEN KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 200 2.4.1 XL KERNIDENTITÄT ZUSAMMENFASSUNG ABGLEICH Die kulturhistorisch-städtebauliche Kernidentität der Krefelder Innenstadt wird entscheidend durch ihre ältere Geschichte - die konstituierenden Zeitschichten bestimmt. .2167,78,(5(1' 75$16)250$7,21 75$16)250$7,21 +(87,*(6,78$7,21 VORINDUSTRIELLE MANUFAKTURSTADT Die Stadt wurde hauptsächlich für einen Industriezweig angelegt, namentlich die Seidenindustrie. Innerhalb der vorindustriellen Stadt bestand eine feinkörnige Funktionsmischung. Das Wohnen und Arbeiten fand vor allem zu Hause statt. Innerhalb eines Quartiers, Baublocks und auch innerhalb eines Gebäudes wurde gewohnt und gearbeitet. MODERN-HISTORISCHE INDUSTRIESTADT Der Beginn der Transformationen der Stadtstruktur innerhalb der Vier Wälle fällt mit dem Ende der Handweberei und dem Beginn der maschinellen Weberei zusammen, die sich in Krefeld erst gegen Ende des 19.Jahrhunderts durchsetzte. Fabriken wurden jetzt außerhalb der Vier Wälle und in den kleineren Nachbargemeinden gebaut. MODERNE INDUSTRIESTADT ,QGHQ·HU-DKUHQGHV Jahrhunderts beschleunigte sich die Transformation der Innenstadt zum Einzelhandels- und 'LHQVWOHLVWXQJV]HQWUXP,QGHU¶&LW\· entwickelte sich die Tendenz zur Zusammenlegung von Hausparzellen und zur Maßstabsvergrößerung der Bauvolumen. Viele wohlhabende Bürger begannen, sich neue Häuser außerhalb der Innenstadt zu bauen. Damit setzte die Entmischung des funktional und sozial gemischten Gefüge der kompakten vorindustriellen Stadt ein. Innerhalb der Vier Wälle entstand jetzt das neue Verwaltungs- und Einzelhandelszentrum der Großstadt Krefeld, mit einer bis zum 2. Weltkrieg hohen Einwohnerdichte. 'XUFKGLHÁlFKHQPlLJHQRUPH Ausdehnung des Stadtgebiets, die großräumliche Nutzungstrennung von Wohnen, Arbeiten und Dienstleistungen aller Art entstand immer mehr Verkehr. Seit der Nachkriegszeit nahm der motorisierte Individualverkehr exponentiell zu und mit ihm der Raumbedarf nicht nur für GHQÁLHHQGHQVRQGHUQYRUDOOHPGHQ ¶UXKHQGHQ9HUNHKU· POST-INDUSTRIELLE STADT Der historische Stadtgrundriß blieb zwar bis heute zum großen Teil erhalten, jedoch ist es in den letzten 70 Jahren nur in beschränktem Maße gelungen, um ein neues, attraktives Stadtbild zu schaffen. Die Stadt spiegelt kaum das postindustrielle Zeitalter wider, in dem das historische Stadtzentrum wieder eingerichtet ist für Fußgänger, Freizeit, komfortables und repräsentatives Wohnen, kulturelle Angebote und Kreativität. Die schmalen Parzellen und eine Vielzahl von Eingängen an der 6WUDHUHVXOWLHUWHQLQHLQHUÁH[LEOHQ lebendigen Beziehung zwischen der Bebauung und dem öffentlichen Raum. Trotz der feinen Mischung der Funktionen von Wohnen und Arbeiten auf allen Maßstabsebenen war die Manufakturstadt mit ihrer einheitlichen Kulissenarchitektur als solche nicht sofort erkennbar. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Die vier Wälle hingegen sind noch deutlich erkennbar und haben ein hohes räumliches Potenzial. Obwohl sie zum Teil fragmentiert und beschädigt sind, bilden sie nach 200 Jahren immer noch den eindrucksvollen Höhepunkt des Stadtzentrums. 201 2.4.1 L+M KERNIDENTITÄT ZUSAMMENFASSUNG ABGLEICH Die Anlage einer barock-klassizistischen Planstadt um einen mittelalterlichen Kern die wiederum umrahmt ist mit französischen Promenaden stellt eine besondere Variante des Europäischen Städtebaus dar. .2167,78,(5(1' 75$16)250$7,21 75$16)250$7,21 +(87,*(6,78$7,21 GESCHLOSSENES STADTMODELL Die kulturhistorisch-städtebaulich einzigartige Anlage der Krefelder Innenstadt ist eine besondere Form des vorindustriellen, geschlossenen Stadtmodells. Sie entspricht den Grundprinzipien des räumlichen Aufbaus der europäischen Stadt. In einem Exkurs in Abschnitt 2.5 werden diese dargestellt. KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT Erst mit der Reichsgründung und dem damit einhergehenden ungezügelten Bauboom wurde das geordnete, einheitliche Stadtbild aufgebrochen. Dies geschah vor allem durch neue, repräsentativ herausgestellte Einzelbauten und neue Gebäudetypologien. WIEDERAUFBAU 1949 Das vorindustrielle und modernhistorische Stadtbild wurde durch die Bombardierung 1943 schwer beschädigt. In der ersten Phase des Wiederaufbaus wurden große Teile der Stadt innerhalb der historischen Fluchtlinien und in kleinteiliger Parzellierung wieder aufgebaut. DISSONANTEN Der Abgleich zeigt, dass das Gebiet innerhalb der Vier Wälle trotz aller Transformationen noch immer ein geschlossenes Stadtbild aufweist. Die Standorte, an denen das geschlossene Stadtbild beeinträchtigt wurde oder nicht in der Fluchtlinie gebaut wurde, ZXUGHQDOV'LVVRQDQWHQLGHQWLÀ]LHUW (siehe Uberlagerungskarte 3 Dissonanten in Abschnitt 2.2.3). Das geschlossene Stadtmodell resultierte in einem gut lesbaren Stadtgrundriss und deutlich abgegrenzten öffentlichen 5lXPHQ8QGHXWOLFKGHÀQLHUWH Übergangsgebiete gab es nicht. Aus den vier konstituierenden Zeitschichten - Mittelalter und Renaissance - oranische Stadterweiterung - barocke Planstadt - klassizistische Stadtanlage (siehe Bewertung XL in Abschnitt 3.2) wurden drei räumliche Systeme destilliert: - mittelalterlicher Stadtkern - Straßen und Häuser - Vier Wälle (siehe Bewertung L+M in Abschnitt 3.3.1) Kurz zusammengefasst besteht die Krefelder Innenstadt aus einer barockklassizistischen Rasterstadt um einen unregelmäßigen mittelalterlichen Stadtkern herum. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die geometrische Anlage in ihrer Gänze mit einer eleganten, rechteckigen Promenade nach französischem Modell umrahmt. (siehe auch Exkurs: Grundprinzipien des räumlichen Aufbaus in Abschnitt 2.5.1). KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE In ihrer Gänze blieb die Stadtstruktur erkennbar. Die Vier Wälle blieben grüne Promenaden, auch wenn sie deutlich großstädtischer wurden. Abgesehen vom Verkehrsdurchbruch der Sankt-Anton-Straße wurde keine eindeutige Entscheidung zur Neuordnung der Innenstadt getroffen. Das Straßenmuster blieb somit großenteils erhalten, und eine Maßstabsvergrößerung fand nur in begrenztem Umfang statt. WIEDERAUFBAU AB 1959 Erst in der zweiten Phase des Wiederaufbaus, der in der Mitte GHU·HU-DKUHHLQVHW]WHIROJWHHLQ klares Bekenntnis zum Idealbild der gegliederten, aufgelockerten und autogerechten Stadt, indem Funktionen bewußt getrennt und an verschiedenen Standorten konzentriert wurden. Im Grunde ist die Sichtweise auf das Funktionieren der Innenstadt der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts bis heute wirksam: der Autoverkehr ist dominant, der öffentliche Raum außerhalb der Fußgängerzonen ist asphaltiert, kahl und nur in geringem Maße für den langsamen Verkehr oder Aufenthalt eingerichtet. Auch wenn ab Mitte der 60er Jahre bewußt vom historischen Stadtgrundriß abgewichen wurde, resultierte dies abgesehen von einigen autonom im Stadtraum platzierten Großimmobilien nicht in einer radikalen Neuordnung, sondern vor allem in einer Reihe von Straßenverbreiterungen und der Anlage ebenerdiger Parkplätze an der Stelle zerstörter Baublocks. Dies resultierte nicht in einer irreversibelen Änderung der Stadtstruktur zu einem eindeutig modernen Stadtbild, sondern eher in der Beeinträchtigung der Lesbarkeit der historischen Stadt. 202 2.4.1 S 2.0 EINLEITUNG KERNIDENTITÄT ZUSAMMENFASSUNG ABGLEICH Darüber hinaus ist sie durch spätere Transformationen überformt, vor allem durch die repräsentativen, großstädtischen Bauten der Kaiser- und Zwischenkriegszeit sowie durch die frühe Nachkriegsmoderne. Die darauf folgenden Transformationen haben die Krefelder Innenstadt vor allem in )RUPGHULGHQWLÀ]LHUWHQ'LVVRQDQWHQEHHLQWUlFKWLJW .2167,78,(5(1' 75$16)250$7,21(1 75$16)250$7,21 +(87,*(6,78$7,21 KULISSENARCHITEKTUR Innerhalb des geschlossenen Stadtbildes haben die Hausfassaden LKUHVSH]LÀVFKH5ROOH6LHIRUPHQ eine repräsentative Kulisse, die nicht aufgrund der internen Funktionen gestaltet ist, sondern aus dem Bild der Fassade als Teil der Straßenwand. ARCHITEKTUR-IKONEN ARCHITEKTUR-IKONEN KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT Während der Kaiserzeit und der Zwischenkriegszeit entwickelte sich der Einzelhandel im mittelalterlichen Stadtkern. Es entstanden neue Gebäudetypologien und die Sockelgeschosse bestehender Häuser wurden umgebaut. Die hohen, QHXWUDOXQGÁH[LEHOJHVWDOWHWHQ Sockelgeschosse der ursprünglichen Bebauung erwiesen sich als genügend robust, um eine große Vielfalt an Nutzungen aufzunehmen. (567(1$&+.5,(*602'(51( In der ersten Phase des Wiederaufbaus wurden große Teile der Stadt innerhalb der historischen Fluchtlinien und in kleinteiliger Parzellierung wieder aufgebaut. VERNACHLÄSSIGTE ALTBAUSUBSTANZ UND INVESTORENARCHITEKTUR Die Bebauung ist nach dem 2. Weltkrieg noch immer nicht komplett wiederhergestellt und die Baulücken bilden undeutliche Stadträume. Manche Zerstörungen des 2. Weltkriegs wurden nur provisorisch und eher suburban bebaut und an vielen Stellen ist starker Verfall sowohl der Vorkriegsarchitektur als auch der Architektur des Wiederaufbaus zu beobachten. Die Eigenart der auf Repräsentation entworfenen Bebauung manifestierte sich auch in einer hohen Architekturqualität auf verschiedenen Maßstabsebenen. Das Ergebnis war ein räumliches Erlebnis, das der Wahrnehmung durch den Fußgänger entsprach. Die das Stadtbild prägende Architektur ist in der Krefelder Innenstadt bis auf die nicht mehr erhaltene mittelalterliche Bebauung - nicht auf regionale Vorbilder, sondern eindeutig auf die allgemeinen Prinzipien der klassischen Architektur zurück zu führen. Diese Architekturtradition verbindet Krefeld - mehr als die meisten Nachbargemeinden - mit der breiteren Europäischen Architekturund Stadtbaugeschichte. Die Grundprinzipien der Fassadenarchitektur werden in einem Exkurs in Abschnitt 2.6 dargestellt. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Hochwertig entworfene und unterschiedlich genutzte Sockelgeschosse boten dem Passanten Abwechslung und machten die Stadt interessant und lebendig. Die neuen Schaufenster blieben Bestandteil der Architektur der Hausfassaden. Auch das Wohnen im ersten Stock blieb zunächst erhalten. Zwar gab es keine historischen Rekonstruktionen in großem Maßstab, wie zum Beispiel in Münster oder Frankfurt. Die Architektur bezog sich aber ausdrücklich auf das historische, geschlossene Stadtmodell und die ihm eigenen kompositiorischen Grundprinizipien. Dabei blieb die Architektur neutral und meist eher bescheiden und nüchtern. =:(,7(1$&+.5,(*602'(51( Ab den 60er Jahren wurde die modernistische Leitidee zur Regel, die historisch geschlossene Stadtstruktur aufzulockern und große Gebäudekomplexe als skulpturale, hermetische Objekte frei im Stadtraum zu platzieren. Die auffälligsten Vertreter dieser Idee sind das Gebiet um das Polizeipräsidium, das Schwanenmarkt Center und das Seidenweberhaus. Auch die zahlreichen Punkthäuser zeugen von diesem Gedanken. Bis auf das Stadttheater wurden diese Objekte MHGRFKDOV'LVVRQDQWHQLGHQWLÀ]LHUW Neuere Projekte sind zumeist großmaßstäblich und aus der KLVWRULVFKHQ%DXÁXFKWYHUVFKREHQ Ihre Fassaden sind glatt und technisch detailliert und materialisiert und liefern LQXQ]XUHLFKHQGHP0DH¶$XJHQIXWWHU· für ein attraktives und lesbares Stadtbild. Die Sockelgeschosse sind eher undurchlässig gestaltet und liefern keinen Beitrag zu einer Urbanität und Aufenthaltsqualität der Krefelder Innenstadt. 203 2.4.1 KONSTITUIERENDE ENDE ZEITSCHICHTEN mittelalterlicher Stadtkern RÄUMLICHE RÄU SYSTEME + mittelalterlicher 6WDGWNHUQ Stadtkrone oranische Stadterweiterung barocke Planstadt klassizistische Stadtanlage 2.0 EINLEITUNG KERNIDENTITÄT DER KREFELDER INNENSTADT barockklassizistische 3ODQVWDGW Stadt der Straßen und Häuser TRANSFORMATIONEN KERNIDENTITÄT Architektur -Ikonen Kaiserzeit & Zwischenkriegszeit Architekur-Ikonen erste Nachkriegsmoderne Wiederaufbauplan 1949 .ODVVL]LVPXV Vier Wälle KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Dissonanten vor-industrielle Manufakturstadt Abb. 2.0_173 Konstituierende Zeitschichten und Kernidentität 204 2.4.2 (;.856*581'35,1=,3,(1 DES RÄUMLICHEN AUFBAUS 2.0 EINLEITUNG Die Orientierung auf den öffentlichen Raum ist dem Europäischen Städtebau eigen, ebenso wie die Tatsache, dass die Architektur der Bebauung sich ausdrücklich auf den öffentlichen Raum bezieht und mit ihm eine bewusste und durchdachte Beziehung eingeht. Abb. 2.0_180 Weberwinkel 1850 Die barock-klassizistische Stadtanlage Krefelds wurde angelegt für die Seidenproduktion, die fast ausschließlich in Heimarbeit stattfand. XL Abb. 2.0_181 Perspektivischer Grundriß 1787 Die gebaute Sozialstruktur der Manufakturstadt ist besonders gut an der barocken Stadtanlage des 18. Jahrhunderts abzulesen. DIE EUROPÄISCHE STADT UND DAS GESCHLOSSENE STADTMODELL Die Stadtstruktur der Krefelder Innenstadt besteht wie fast alle vorindustriellen Europäischen Städte aus einem durchgehenden Netz von Straßen, Plätzen und Gassen. Reihen direkt miteinander verbundener Häuser stehen in einer Fluchtlinie und grenzen direkt an den öffentlichen Raum. Die zumeist eher schmalen Häuser besitzen jeweils ihre eigene Erschließung an der Straße, was in einer kurzen Folge von Hauseingängen oder Pforten resultiert. Zusammen sind die Gebäude in geschlossenen Baublöcken organisiert, in denen der öffentliche Raum deutlich getrennt ist vom privaten Raum der Bewohner und Nutzer im Inneren der Gebäude und der Baublöcke. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 0$18)$.78567$'7 FUNKTIONSMISCHUNG AUF ALLEN MASSSTABSEBENEN Im bemerkenswerten Gegensatz zu den Industriestädten des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren die Werkstätten im vorindustriellen, barock-klassizistischen Krefeld nicht in separaten, großmaßstäblichen Fabrikkomplexen konzentriert, sondern YLHOPHKUDOVNOHLQH¶=HOOHQ·YROOVWlQGLJ in die historische Stadtstruktur eingewoben, untergebracht in Gebäuden, in denen auch gewohnt wurde. Nicht die Trennung, sondern die Mischung der Funktionen war jahrhundertelang die Norm innerhalb der Stadt, der Stadtviertel, Baublöcke, ja selbst der einzelnen Häuser. Dies galt auch für Geschäfte und öffentliche Einrichtungen. 205 2.4.2 (;.856*581'35,1=,3,(1 DES RÄUMLICHEN AUFBAUS Abb. 2.0_62 barocke Typenhäuser mit Tympana an der Friedrichstraße, im Vordergrund die markanten Eckhäuser Haus Scheibler und Haus Joergens von Michael Leydel, im Hintergrund das Flohsche Haus, Stadterweiterung 1766 Abb. 2.0_59 barocke Typenhäuser mit Tympana auf der Hochstraße südlich des Neumarktes, Stadterweiterung 1711 L+M $5&+,7(.785¶)250)2//2:6 5(35(6(17$7,21· Die Kombination der Funktionsmischung mit der barockklassizistischen Stadtanlage führte zu einem erstaunlichen räumlichen Resultat: die verschiedenen Funktionen manifestierten sich nicht in chaotischen räumlichen Szenen oder einem bunten Durcheinander verschiedener Fassadenarchitekturen, sondern fügten sich in die übergeordneten Prinzipien des barocken Stadtmodells ein, in dem die verschiedenen Funktionen und Aktivitäten hinter gleichförmigen architektonischen Schemata zurück traten. Obgleich die Starrheit dieses Systems mit dem Klassizismus und der Gründerzeitarchitektur in Krefeld langsam gelockert wurde, so ist doch für den größten Teil des 19. Jahrhunderts festzustellen, dass die Architektur zum öffentlichen Raum hin keine buchstäbliche Übersetzung der Funktion des Gebäudes war, sondern dass sie vielmehr die ausdrückliche Aufgabe hatte, dem Gebäude als Element einer städtischen Straßenwand ein repräsentatives Gesicht zu geben und dem öffentlichen Raum Identität und Ausstrahlung zu verleihen. Fassaden wurden bis zum zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts noch nicht nach dem modernistischen Postulat ¶IRUPIROORZVIXQFWLRQ·YRQLQQHQQDFK außen entworfen. Die Fassade eines Gebäudes war eine eigenständige Entwurfsaufgabe, mit der auch der öffentliche Raum zielbewusst gestaltet und gegliedert wurde. $5&+,7(.785.8/,66('(5 BEGEHBAREN STADT Die ausdrückliche Aufgabe der Architektur, den öffentlichen Raum zu gestalten, entstammte nicht nur einer jahrhundertealten Tradition, die eine Fassade als verunstaltet betrachtet hätte, wenn sie in ihrer funktionalen Grundform stecken geblieben wäre. Sie ist mit dem räumlichen System KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE 2.0 EINLEITUNG der vorindustriellen und modernhistorischen Stadt unlösbar verbunden. Der öffentliche Raum hatte ausdrücklich eine doppelte Funktion: er war einerseits Verkehrsraum, der verschiedene Orte in der Stadt miteinander verband, andererseits aber auch Aufenthaltsort. Dies gilt nicht nur für die Plätze, sondern vor allem für die Straßen. Die vorindustrielle Stadt - und bis zu einem gewissen Grad auch die modern-historische Stadt - war eine begehbare Stadt, die im Wesentlichen für langsamen Verkehr und Aufenthalt errichtet war. Die Bewegung durch die Stadträume war langsam und die Erfahrung der Fassaden und Stadträume viel eindringlicher als in den modernen, für den motorisierten Verkehr entworfenen Stadtstrukturen. Heute hat sich der Schwerpunkt bei der Einrichtung des öffentlichen Raums auf die Gestaltung der horizontalen Fläche verlagert: das 6WUDHQSÁDVWHU,QGHUYRULQGXVWULHOOHQ und modern-historischen Stadt wurden die Entwurfsmittel vor allem auch in der Vertikale angewendet. Architektur war eine zielbewußt entworfene Kulisse für eine begehbare Stadt. )$66$'(1$5&+,7(.785 BEWUSSTE GLIEDERUNG VOM SOCKEL BIS ZUM DACH Die vertikalen Raumbegrenzungen spielten eine wichtige Rolle, wenn es um die Identität und Attraktivität von Stadträumen ging. Sie wurden GHPHQWVSUHFKHQGUDIÀQLHUWHQWZRUIHQ für ihre Aufgabe. Weder in der Horizontalen, noch in der Vertikalen war nur die Rede von Wiederholung und Abstraktion. In der Vertikalen ZDUGLH)DVVDGHKlXÀJLQ6FKLFKWHQ unterteilt, jede mit einer anderen Funktion und einem anderen Ausdruck, wobei das Sockelgeschoss durch seinen ästhetisierten Eingang, sein tieferes Relief und VHLQHDEZHLFKHQGHXQGUDIÀQLHUWH Gestaltung eine offensichtliche Brücke zwischen Gebäude und öffentlichem Raum bildete. Das Sockelgeschoss kommunizierte direkt mit dem Abb. 2.0_182 Überformung der strengen Barockarchitektur an der Friedrichstraße im späten 19. Jahrhundert: links die neue, eklektizistische Markthalle, rechts daneben die konstituierende barocke %HEDXXQJPLWGHP¶+DXVLQGHQ.HWWHQ·HLQHP DXVGHU%DXÁXFKWJHVFKREHQHQ(FNKDXVYRQ Jodokus Wesendonk um 1738, aufgestockt und umgebaut von Michael Leydel, um 1766. )RWRJUDÀHXP Fußgänger und der unmittelbare und harte Übergang des Gebäudes zur Straße wurde durch die vorgenannten Gestaltungsmittel erheblich abgefedert und annehmbar. Die darüberliegende Gestaltungsschicht konnte sich über eine oder mehrere Obergeschosse erstrecken und betonte mit ihrer ÁDFKHUHQ*HVWDOWXQJXQGHLQHP Raster von Fensteröffnungen die Hauptmasse des Gebäudes und die horizontale Kontinuität der gesamten Fassadenwand. Der Abschluß nach oben wurde durchweg betont mit Trauf-, Krag- und Kranzgesimsen, Zwischengeschossen usw., mit denen die Komposition und Wiederholung der Fenster nach oben abgeschlossen wurde. Durch die Reihung dieser Fassadenabschlüsse wurde die räumliche Wirkung des gesamten Stadtraums verstärkt. Die Auskragung der Dachgesimse verhinderte, dass der Stadtraum nach oben hin ins Endlose lief. Indirekt kann dies auch zur Wahrnehmung der Straße als Aufenthaltsraum beigetragen haben. DIE DACHLANDSCHAFT ALS WESENTLICHE RÄUMLICHE EBENE Die Dächer stellten in der vorindustriellen und zum großen Teil auch in der modern - historischen Stadt immer die oberste Schicht dar, die nicht so sehr von architektonischer, sondern vor allem von städtebaulicher Bedeutung war. Die Schicht der Dachlandschaft bestand aus separaten Volumen, die sich in ihrer Form und Ausstrahlung deutlich abhoben von den darunterliegenden, sich wiederholenden Fassadenarchitekturen. Tatsächlich bestand jede historische Stadt bis ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts aus einer Basisschicht rechteckiger, kubischer Hauptvolumen und einer separaten, Deckschicht aus geneigten Dächern. Damit erhielt die Stadtlandschaft als Ganzes nach oben KLQLKUH5DIÀQHVVH 206 2.4.3 S Abb. 2.0_183a und b (links) Haus zum Heyd, barockes Eckhaus an der Friedrichstraße Architekt: Michael Leydel Abb. 2.0_184a und b (rechts) Haus Joergens, barockes Eckhaus an der Friedrichstraße Architekt: Michael Leydel (;.856*581'35,1=,3,(1 DER FASSADENARCHITEKTUR 2.0 EINLEITUNG Die Fassaden der Gebäude aus den konstituierenden Zeitschichten seit der oranischen Zeit basieren auf einer Reihe von Grundprinzipien, die das Straßenbild über einen sehr langen Zeitraum bestimmt haben. Diese Prinzipien werden im Folgenden beschrieben. KLASSISCHE DREITEILUNG Die konstituierenden Fassaden kennen in der Vertikalen eine klassische Dreiteilung in Sockel - Mittelbau Traufe. Diese Gliederung ist der Kern des klassischen Kanons, der die Architektur in Europa seit der 5HQDLVVDQFHVWLOLVWLVFKEHHLQÁXVVW hat. Sie stellt die Übersetzung der grundlegenden alltäglichen Funktionen der Fassade dar. Wo Schmutz auf die Fassade gelangen konnte, war ein schützender Rand zur Straße erforderlich. Wo das Dach mit der Fassade verbunden war, war ein Überhang erforderlich, um das Wasser von den Fassadenöffnungen fernzuhalten. In den aufeinanderfolgenden Stilperioden fanden diese Ausgangspunkte ihre eigene stilistische Übersetzung. SOCKEL Schon im Mittelalter und in der Renaissance hatten die Häuser einfache Sockel aus Naturstein oder einen schützenden Anstrich zum Boden. Im Barock setzte sich diese Technik in einfachen Häusern KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE fort. In repräsentativen Gebäuden wurde manchmal auch die komplette Fassade des Erdgeschosses als Sockel konzipiert. Davon zeugen die verbliebenen Gebäude aus den konstituierenden Zeitschichten entlang der Friedrichstraße (Barock) und der Vier Wälle (Klassizismus). Höhe der Fensterbänke im ersten Obergeschoss. Je nach Reichtum des Bauherren wurde dieses Gesims dann weiter durchgestaltet. MITTELBAU Die Fassade oberhalb des Sockels wurde nicht unbedingt als eine große Fläche belassen, sondern gestalterisch gegliedert. Die Fassadenöffnungen waren artikuliert mit umlaufenden Faschen. Das heißt, sie waren nicht einfach Stanzlöcher in der Fassade, sondern deutlich als kompositorische Elemente behandelt, mit einem XPODXIHQGHQSURÀOLHUWHQ5DKPHQLQ der Form einer umgekehrten U-Form, die auf der deutlich artikulierten Fensterbank aus Naturstein stand. TRAUFE Die vertikale Beendigung der Fassade bestand aus einer mehr oder weniger artikulierten Traufe. Darüber lag ein Satteldach. Die einfachste Form der Traufe, die bis heute vielfach in der barocken und klassizistischen Bebauung innerhalb der Vier Wälle ]XÀQGHQLVWLVWHLQHDXVNUDJHQGH Traufe, bestehend aus Aufschiebling XQG5HJHQULQQHPLWHLQHUÁDFKHQ oder mit einer einfachen Zahnleiste SURÀOLHUWHQ9HUNOHLGXQJDQGHU Unterseite. In der Friedrichstraße und an den Vier Wällen sind die Traufen oft reicher ausgearbeitet in Form von Kranzgesimsen, Friesen und Konsolen. Oft wurden die schweren Fensterbänke aus Naturstein unter den Fensteröffnungen zu einem durchlaufenden Gesims zusammengefasst, zumeist auf der SYMMETRIE Die Spiegelung architektonischer Elemente oder der Fassadenkomposition um eine imaginäre vertikale Mittelachse war in allen Stilperioden der historischen Stadt ein Ausgangspunkt. Auch wenn dieses Prinzip in mittelalterlichen oder sehr einfachen Gebäuden weniger streng umgesetzt wurde, waren Symmetrie und Axialität nach dem Mittelalter der Ausgangspunkt bei der Fassadengestaltung, sowohl bei einfachen Wohnhäusern als auch bei besonderen Gebäuden. Eingang, der Zusammenfügung mehrerer Gebäude hinter einer neuen Fassade oder einer nachträglichen Anpassung einer bestehenden Fassade an die Mode der Zeit. Die Seitenwände von Gebäuden ]HLFKQHQVLFKKlXÀJQLFKWGXUFKHLQH symmetrische Zusammensetzung DXVREZRKOKlXÀJ7HLOV\PPHWULHQ bestehen. Das Prinzip galt hinsichtlich der Hauptform und Komposition der Fassade sowie ihrer einzelnen Bestandteile wie Fenster, Türen und Ornamentik. Schon vor der Entdeckung der klassischen Architektur im 16. Jahrhundert wurde ein asymmetrisch platziertes Fenster oder ein asymmetrischer Giebel als ästhetisch unbefriedigend empfunden. Die Tatsache, dass das symmetrische Grundprinzip nicht überall strikt umgesetzt wurde, bzw. Unregelmäßigkeiten durchaus vorkamen, ist das Ergebnis der funktionalen Organisation der Gebäude, z.B. mit einem seitlichen 207 2.4.3 S Abb. 2.0_185a und b (links) neoklassizistisches Eckhaus am Westwall xx Abb. 2.0_186a und b (rechts) neoklassizistisches Eckhaus am Südwall Ecke Lindenstraße (;.856*581'35,1=,3,(1 DER FASSADENARCHITEKTUR ARCHITEKTONISCHE GLIEDERUNG Die klassische Dreiteilung der Fassaden wurde vor allem bei den repräsentativeren Bauten des Barock und Klassizismus zusätzlich mit tektonischen Elementen gegliedert: aufsteigende Pilaster, oft rustiziert, betonten Ecken und trennten ansonsten gleichförmige Hausreihen in Einzelhäuser. Aufgelegte Lisenen, Architrave und Konsolen brachten zusätzliches Relief in die schlichten Fassaden. Sowohl im Barock als auch im Klassizismus wurden Risalierungen angedeutet und mit Tympana bekrönt. Eine Differenzierung ist zum Beispiel bei Eckgebäuden zu sehen, um die Hauptfassade hervorzuheben. MEHRSCHICHTIGES RELIEF Die Fassaden fast aller Baustile bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besitzen ein vielschichtiges Relief, das ihnen Tiefe und Komplexität verleiht. Durch ein subtiles Spiel von Licht und Schatten werden die KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE architektonischen Elemente der Fassade, nicht nur Fenster- und Türöffnungen, hervorgehoben. Damit erhalten Fassaden als Ganzes sowie einzelne Fassadenelemente zusätzlich einen deutlich festgelegten Anfang und eine Beendigung. Vorder- und Seitenfassaden der historischen Architektur sind oft reich an Relief, aber normalerweise nicht an Skulpturalität: große, geschlossene und auskragende Volumen oder Elemente wie Balkone, Loggien, Hauseingänge oder Erkerfenster kommen in den historischen Fassaden im Allgemeinen nicht vor. Lediglich bei besonderen, repräsentativen Gebäuden wie dem Rathaus werden sie in Form von Balkonen, Treppenanlagen und Loggien angewendet. In der Gründerzeit kamen bei Privathäusern gelegentlich Erker vor. Diese bildeten aber kein abstraktes, selbständiges Volumen, sondern waren in das vielschichtige Relief der Fassaden subtil integriert. 2.0 EINLEITUNG Ein einschichtiges Relief, bei dem zwischen der Vorderseite der Fassade und dem Fensterglas nur ein Tiefensprung besteht, kommt in der konstituierenden Architektur nicht vor. Die Fassaden der konstituierenden Architektur waren nie einfach nur Lochfassaden, sondern bildeten ein mehrschichtiges Relief. Sockel, Traufgesims und die Tiefe der Fassadenöffnungen bildeten die Grundlage, wobei die Eingänge im Allgemeinen tiefer in der Fassade lagen als die Fenster. Über dieser Basis folgte die Umrandung der Fenster und Fensterbänke, eventuell mit durchlaufenden Gesimsen, sowie eventuell eine darauf gelegte architektonische Gliederung mit Pilastern. Im Allgemeinen nahm der Detailgrad der Fassadengliederung bzw. Dekoration vom Erdgeschoss zu den Obergeschossen hin ab. Auch die Fenster und Türen verfeinerten das Fassadenrelief. Dabei bildeten die Fensterrahmen mit ihrer 3URÀOLHUXQJXQG6SURVVHQYHUWHLOXQJ Ornamente innerhalb der Fassadenöffnungen. Die oft aufwändig gestalteten Türen betonten den Hauseingang. VERLAUF IN HÖHE VON UNTEN NACH OBEN Die Fensteröffnungen aus der Zeit des Barock waren im Erdgeschoss relativ groß und näherten sich dem goldenen Schnitt an mit einem Verhältnis von Breite zu Höhe von 1:1,62. Dabei spielte die Notwendigkeit einer ausreichenden Lichteinstrahlung in den Innenraum eine Rolle. Im Klassizismus wird dieses Verhältnis etwa 1:2, wobei die Fenster nicht unbedingt höher, dafür aber schmaler werden. Das um ein paar Stufen erhöhte Erdgeschoss hatte in der Fassade durch den Sockel zumeist eine höhere Geschosshöhe als das darüber liegende Stockwerk. Die Fensterhöhe im 1. Obergeschoss war je nach Gebäude geringer oder blieb gleich. Die zumeist zweigeschossig bebauten Barockstraßen waren überwiegend durch identische Geschosshöhen von Gebäuden in einer Reihe gekennzeichnet. Die repräsentativen Eckhäuser waren dreigeschossig, und die Fenster im 2. Obergeschoss waren deutlich niedriger. Dieses Schema wiederholt sich in der klassizistischen Bebauung der Vier Wälle. In beiden Fällen ergibt sich ein vertikales Gesamtbild, wobei die Barockarchitektur durch ihre breiteren Fenster mehr oder weniger deutlich vom geschlosseneren Klassizismus zu unterscheiden ist. 'WEICHE' MATERIALISIERUNG Die Verwendung von geschlämmtem Mauerwerk und Kalkputz in Kombination mit Naturstein verlieh der durchaus monumentalen Architektur einen eher weichen, samtigen Ausdruck. Die buchstäblich ¶DXIJHSXW]WHQ·)DVVDGHQZXUGHQPLW in mehreren Schichten aufgebürsteten Anstrichen versehen und erhielten dadurch eine wolkige, fast schon textile Struktur. 208 2.4.3 S Abb. 2.0_187a und b Rasterfassade der ersten Nachkriegsmoderne an der Friedrichstraße Ecke Gartenstraße (;.856*581'35,1=,3,(1 DER FASSADENARCHITEKTUR KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT Die kompositorischen Grundprinzipien der konstituierenden Zeitschichten bildeten in der Zeit der Kaiser- und Zwischenkriegszeit einen klaren Bezugsrahmen. Entlang der Vier Wälle wurde die fehlende Bebauung ergänzt im Stil der Gründerzeit. Hinzu kamen monumentale öffentliche Bauten. Hier wurden die Grundprinzipien allerdings freier interpretiert. Eine höhere Traufhöhe führte zum Beispiel zu einem deutlich höheren Sockelgeschoss. Vor allem in der Architektur der Kaufund Warenhäuser in der Innenstadt entstanden neue Formen dekorativer Elemente, vor allem aber neue Konstruktionsmöglichkeiten in Stahl und Glas. In dieser Untersuchung werden sie als Architektur - Ikonen gewürdigt. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE ERSTE NACHKRIEGSMODERNE Auch die Zeit des frühen Wiederaufbaus blieb den Grundprinzipien der konstituierenden Zeitschichten verplichtet. Auch hier blieben Satteldächer die Norm, jetzt aber oft mit bewohntem Staffelgeschoss. Durch die normierten Geschosshöhen gerieten die Proportionen des klassischen Fassadenaufbaus unter Druck. Teilweise wurde dies mit zweigeschossigen Sockelgeschossen unterfangen. Ein Betonraster oder vorgesetzte Pilaster aus Ziegelstein sowie Balkone bildeten jetzt das Relief der Fassadengliederung. Sockel, Fensterbänke und -faschen wurden mit verschiedenen Putztexturen neu interpretiert und abstrahiert. 2.0 EINLEITUNG KLASSISCHE - UND ZWEITE NACHKRIEGSMODERNE Die Architektur der Moderne stellte einen deutlichen Bruch dar zur Architektur der konstituierenden Zeitschichten. Betonskelettbauten, die eine freie Einteilung der Fassaden und Grundrisse möglich machten, setzten sich mit ihrer Betonung der Horizontalen deutlich vom klassischen Fassadenaufbau und der vertikalen Gliederung ihrer Vorgänger ab. Abb. 2.0_188a und b Rasterfassade der ersten Nachkriegsmoderne am Ostwall Ecke Marktstraße Die Fassaden wurden jetzt abstrakter XQGÁDFKHU6LHZDUHQQLFKWPHKU a priori als Kulisse des Stadtraums entworfen, sondern wurden als autonome Objekte frei im Stadtraum SODW]LHUW1DFKGHU0D[LPH¶IRUP IROORZVIXQFWLRQ·ELOGHWHQVLFKMHW]W auch Elemente und Nutzungen von innen nach aussen ab. Das Flachdach verdrängte das Satteldach. 209 2.4.4 (;.856*581'35,1=,3,(1 DER FASSADENARCHITEKTUR - SCHAUFENSTER S 1 DAS VERGRÖSSERTE FENSTER In der einfachsten Variante ist die Ladenfront Teil des klassischen Fassadenschemas. Dabei sind die Fensteröffnungen im Erdgeschoss vergrößert und bleiben auf einem einfachen Sockel positioniert, so dass die Fassade des Gebäudes ein Ganzes bildet. Die Größe und Gestaltung der Fensterumrandungen können diesen Fensteröffnungen eine größere Bedeutung verleihen. Auch der Eingang zum Geschäft ist eine vergrößerte Fassadenöffnung und bleibt in das Schema der klassischen Fassadenkomposition integriert. Abb. 2.0_189a und b (links) Typologie 01 vergrößerte Fenster in einem barocken Eckhaus an der südlichen Hochstraße Abb. 2.0_190a und b (mitte) 7\SRORJLH+\EULG vergrößerte, zusammengefasste Fenster, mit tragendem Skelett aus Gusseisen unterstützt, in einem barocken, aufgestockten Typenhaus an der Hochstraße 2.0 EINLEITUNG Innerhalb der Vier Wälle können drei Grundprinzipien der Gestaltung von Ladenfronten unterschieden werden. In allen Fällen besteht ein deutlicher Zusammenhang der Ladenfront mit den Gestaltungsprinzipien der Gesamtfassade. Die klassische Dreiteilung von Sockel - Mittelbau - Traufe werden in der Ladenfront in kleinerem Maßstab wiederholt. Die Beziehung zum Boden wird durch einen Sockel artikuliert. Der obere Abschluss geschieht in Form eines Gesimses. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE SOCKELGESCHOSS BASIS Eine formalere Variante der Ladenfront ist die Gestaltung des Erdgeschosses als Sockel für das Gebäudevolumen. Dieser Sockel besteht aus Naturstein oder Quadern aus rustiziertem Putz und kennt eine eigene Formensprache, die die Offenheit der Ladenfront einerseits, und die Schwere des Fassadenaufbaus andererseits betonen. Abb. 2.0_2.0_191a und b Typologie 03 Sockelgeschoss mit großen Öffnungen in einem neoklassizistischen Eckhaus am Ostwall Das Wesentliche dabei ist, dass die Fassadenöffnungen im Erdgeschoss Teil der besonderen Gestaltung des geschosshohen Sockels sind. Sie weichen als Teil des Sockels in Form und Proportion deutlich ab von den darüber liegenden Fensteröffnungen, bilden aber mit der darüber liegenden Fassade eine Gesamtkomposition. 210 2.4.4 (;.856*581'35,1=,3,(1 DER FASSADENARCHITEKTUR - SCHAUFENSTER S TRAGENDES SKELETT In der Kaiser- und Zwischenkriegszeit entstanden erstmals Ladenfronten als große Durchbrüche in der Fassadenwand. Dabei wurde die Erdgeschossfassade abgebrochen und durch neue tragende Elemente ersetzt. Die zumeist aufwändig gestalteten Stützen und Pfosten aus Stahl und Gusseisen bezogen sich kompositorisch auf die Gestaltung der darüber liegenden Fassadenwand. Abb. 2.0_192a und b (links) Typologie 03 ein tragendes Skelett aus Stützen und einem Architrav bildet ein tiefes Relief, in das ein niedriger Sockel und ein fein gegliedertes Schaufenster eingesetzt wurden Trotz ihrer Offenheit bildete die /DGHQIDVVDGHNHLQHVZHJVHLQ¶/RFK· in der Straßenwand. Ihre Gestaltung bezog sich auch in dieser Variante auf die klassische Dreiteilung der Fassaden. Im Kleinen wurde der Aufbau von Sockel - Mittelbau Gesims in der Ladenfront wiederholt. Dies drückt sich in einem Sockel unter dem Schaufenster aus, einem zentralen Teil mit Pilastern, Stützen und dem Abschluss mit einem ausgeprägten Gesims und Architrav mit Reklame oberhalb des KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE Schaufensters. Trotz der großen Fassadenöffnung stand das Volumen des Gebäudes noch mit seitlichen Pfeilern deutlich ablesbar auf dem Boden. KAISER- UND ZWISCHENKRIEGSZEIT Die Hauptprinzipien der vergangenen Jahrhunderte bildeten in der Zeit der Kaiser- und Zwischenkriegszeit noch einen klaren Bezugsrahmen. Hybride Kombinationen der letzten beiden Prinzipien (Sockel und tragendes Skelett) waren üblich, immer ausgehend von klassischen Prinzipien, aber unter Anwendung neuer dekorativer Stilelemente. 2.0 EINLEITUNG Abb. 2.0_193a /DGHQIURQWGHU¶EHOOHpSRTXH·DQGHU Friedrichstraße. Wegen der erhöhten Traufhöhe des Geschäftshauses wurde das Schaufenster visuell über zwei Stockwerke gebildet. Abb. 2.0_193b schematische Darstellung der nördlichen Straßenfront der Rheinstraße zwischen Friedrichstraße und Königstraße in der Situation um 1920, links das Modehaus Kaufmann Das tragende Skelett wurde in GLHVHU=HLWKlXÀJDOVPRQROLWKLVFKHV Fassadenelement mit einer klassischen dreiteiligen vertikalen Struktur interpretiert. Höhere Traufen des Gesamtgebäudes und das 9RUKDQGHQVHLQYRQ9HUNDXIVÁlFKHQ im ersten Stock resultierten zuweilen auch in einem zweistöckigen Sockel. 211 2.4.4 (;.856*581'35,1=,3,(1 DER FASSADENARCHITEKTUR - SCHAUFENSTER 2.0 EINLEITUNG Abb. 2.0_194-198 ERSTE NACHKRIEGSMODERNE Auch in den Ladenfronten der ersten Nachkriegsmoderne blieben die konstituierenden Gestaltungsprinzipien der Ladenfronten ein Bezugsrahmen. wurde das Prinzip des Sockels über zwei Stockwerke hinweg fortgesetzt, um sich proportional der höheren Geschossigkeit des Hauses anzupassen. Die charakteristische Dreiteilung der Ladenfront fand ihren Ausdruck jetzt in hochwertig bekleideten Sockeln und Sockelgeschossen in dekorativem Natur- und Kunststein oder Keramik. Die großen Schaufensteröffnungen wurden mit feingliedrigen )HQVWHUSURÀOHQYHUIHLQHUW Den Abschluss bildete oft ein auskragendendes Vordach aus Beton, das als Einheit mit der Wand entworfen war. In einigen Fällen, beispielsweise in der Rheinstraße, Die Gesamtfassade blieb als Kulisse für den öffentlichen Raum konzipiert. Die Gliederung der Ladenfassade und das darin angebrachte Relief der Erdgeschossfassade, Rhythmus, hochwertige Materialisierung und ein menschlicher Maßstab, boten dem Auge des Passanten eine angemessene Komplexität. Die vielfältige Verwendung von Beton erweiterte jetzt die gestalterischen Möglichkeiten. KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE VERFLACHUNG Schon seit der Zweiten Nachkriegsmoderne wurde die Architektur der Ladenfassaden zunehmend abstrahiert. Dies resultierte in einer buchstäblichen 9HUÁDFKXQJGHV6WUDHQELOGHVLQ Relief und Materialität. EHÀQGHWXQGZLUG]XP6HOEVW]ZHFN Die darüber liegenden Geschosse, soweit sie noch vorhanden sind, verschwinden jetzt hinter einer EHUGLPHQVLRQLHUWHQ*ODVÁlFKHRGHU schweben über einem großen Loch. Der Bezug zwischen Haus und Straße ist verlorengegangen. Die internationale Architektur der Filialisten bricht mit den gestalterischen Grundprinzipien der historischen Ladenfassaden. Mit JURHQ*ODVÁlFKHQRKQH6RFNHO]XU Straße und ohne deutliche Beendigung nach oben, aber auch ohne eine klare Begrenzung zum Nachbarn hat sich das Schaufenster vom Gebäude verselbständigt, in dem es sich 212 BILD S.142 MIR Architecten/ Flexus AWC S.160 S.173 S.182 S.195 Abb. 2.0_23 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_66, 67 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_97, 98 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_153 - 156 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_24 StAKR Obj. Nr. 5.188 Abb. 2.0_68 StAKR Obj. Nr. 3834 S.183 S.196 Abb. 2.0_25, 26, 27, 28, 29 MIR Architecten/ Flexus AWC S.174 Abb. 2.0_99, 100, 101, 102, 103 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_157-160 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_69 KÖPPEN, Ernst: Krefeld - so wie es war, Düsseldorf 1974 (S.22) Abb. 2.0_104 6WDGW.UHIHOG%HÁLHJXQJYRP Abb. 2.0_161 DÖHNE, Volker Abb. 2.0_70 MIR Architecten/ Flexus AWC S.184 S.197 Abb. 2.0_105, 106, 107, 108, 109, 110 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_162 - 168 MIR Architecten/ Flexus AWC S.185 S.198 Abb. 2.0_111, 112, 113, 114, 115, 116, 117 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_169, 170, 171 MIR Architecten/ Flexus AWC S.186 Abb. 2.0_172 StAKR Obj. Nr. 16.322 Abb. 2.0_118, 119, 120, 121, 122, 123, 124 MIR Architecten/ Flexus AWC S.204 S.187 Abb. 2.0_173 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_125, 126, 127, 128, 129 MIR Architecten/ Flexus AWC S.205 Abb. 2.0_193a StAKR Obj. Nr. 3875 Abb. 2.0_180 .g33(1(UQVW$OWHV&UHIHOG*UDÀVFKH und malerische Darstellungen aus fünf Jahrhunderten, Frankfurt 1978 (S.48) Abb. 2.0_192b, 193b MIR Architecten/ Flexus AWC S.208 S.146 Abb. 2.0_1 Ostwall.de, Impressionen 31.05.2021 S.150 Abb. 2.0_30 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_31, 32, 34, 35, 36 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_3 MIR Architecten/ Flexus AWC S.164 S.151 Abb. 2.0_72, 73 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_43, 44, 45, 46 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_5 MIR Architecten/ Flexus AWC S.169 Abb. 2.0_47, 48 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_6 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_74 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_75 Stadtplanungsamt: Krefeld Stadtkern, Denkschrift über die bauliche Entwicklung des Gebietes zwischen den Vier Wällen, Krefeld 1959 (S.61 Abb.47) Abb. 2.0_76, 77, 78 MIR Architecten/ Flexus AWC S.170 S.154 Abb. 2.0_7, 8 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_9 StAKR Obj. Nr. 6.185 Abb. 2.0_49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_56 Stadtplanungsamt: Krefeld Stadtkern, Denkschrift über die bauliche Entwicklung des Gebietes zwischen den Vier Wällen, Krefeld 1959 (S.71 Abb.57) Abb. 2.0_10 MIR Architecten/ Flexus AWC S.176 S.188 Abb. 2.0_79, 80a, 80b, 81 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_130, 131, 132, 133 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_82 CLAßEN, Robert: Zum Beispiel Krefeld. Die Erweiterungen von 1692 bis 1975. Eine Stadtgeographie, Stadt Krefeld, 1989 (S.212 Abb. M 4.19) Abb. 2.0_11 StAKR Obj. Nr. 19.130 Abb. 2.0_12 StAKR Obj. Nr. 19.135 Abb. 2.0_58 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_196, 197 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_59, 60, 61 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_13 StAKR Obj. Nr. 19.112 S.172 Abb. 2.0_14, 15, 16, 17 MIR Architecten/ Flexus AWC S.159 Abb. 2.0_18, 19, 20, 21, 22 MIR Architecten/ Flexus AWC S.177 S.190 Abb. 2.0_83, 84, 85, 86 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_134 - 141 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_59 Stadt Krefeld, Stadtarchiv Abb. 2.0_62 DH 86, 2015 (S. 149) Abb. 2.0_63, 64 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_65 StAKR Obj. Nr. 8730 KULTURHISTORISCHE STÄDTEBAULICHE ANALYSE S.192 Abb. 2.0_65 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_142 MIR Architecten/Flexus AWC und Abbildungen aus dem Bildbestand des Stadtarchivs Krefeld, siehe auch Objektnummern bei den entsprechenden Kapiteln der Analyse Abb. 2.0_88 6WDGW.UHIHOG%HÁLHJXQJYRP Abb. 2.0_89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96 MIR Architecten/ Flexus AWC S.206 Abb. 2.0_59 StAKR Obj. Nr. 453 Abb. 2.0_189a StAKR Obj. Nr. 5240 Abb. 2.0_189b MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_190a StAKR Obj. Nr. 5250 Abb. 2.0_190b, 191a, 191b MIR Architecten/ Flexus AWC S.211 Abb. 2.0_192a StAKR Obj. Nr. 5251 S.212 Abb. 2.0_194, 196, 197, 198 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_195 DÖHNE, Volker Abb. 2.0_62 DH 21, 1950, S. 102, mehrere Bildvergleiche in: Rabeler, DH 25, 1954 (S. 278) Abb. 2.0_182 StAKR Obj. Nr. 3863 S.178 Abb. 2.0_87 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_181 StAKR Obj. Nr. 1083 S.189 S.171 S.158 Abb. 2.0_187a, 187b, 188a, 188b MIR Architecten/ Flexus AWC S.210 S.175 S.165 S.153 Abb. 2.0_71 StAKR Obj. Nr. 39.977 Abb. 2.0_37, 38, 39, 40, 41, 42 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_4 MIR Architecten/ Flexus AWC S.152 Abb. 2.0_185a, 185b, 186a, 186b MIR Architecten/ Flexus AWC S.209 S.163 Abb. 2.0_2 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_184b MIR Architecten/ Flexus AWC S.207 Abb. 2.0_183a GRETHE, Hans Bautätigkeit in Krefeld unter besonderer Berücksichtigung der Zeit Friedrich des Großen. In DH 6/1927 (S. 16, Abb. 26) S.194 Abb. 2.0_143 - 152 MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_183b MIR Architecten/ Flexus AWC Abb. 2.0_184a StAKR Obj. Nr. 16 213